Lanze und Rose
bestanden, ihm einen kleinen Abschiedsbesuch abzustatten, bevor Ihr nach Dunning Manor gebracht wurdet. Ich hätte an jenem Morgen misstrauisch sein sollen.«
»Ihr seid nichts weiter als ein Bastard, Colonel Turner. Und was habt Ihr nun mit mir vor?«
Er schwieg einen Moment lang und schien die Lage abzuwägen, während ich meinerseits das Gleiche tat. Er hatte wohl damit gerechnet, mich hier vorzufinden. Doch offenbar hatte er noch nicht darüber nachgedacht, welches Schicksal er danach für mich bereithalten sollte. Seine Nasenflügel bebten, und ich bemerkte, dass an seinem Hals eine kleine Vene pochte.
»Ich könnte Euch zu Eurem Bruder in die Zelle stecken… Aber ich bin noch nicht fertig mit Euch; und derzeit ist der Gouverneur nicht in der Lage, seine Arbeit zu tun. Ich muss morgen früh nach Stirling aufbrechen; ich nehme Euch mit. Ich glaube, Ihr werdet die Kerkerzellen im Felsen von Stirling ebenso komfortabel finden wie die in Edinburgh.«
»Mit welchem Recht … ?«
Die Worte erstarben auf meinen Lippen. Eine uniformierte Silhouette zeichnete sich im Rahmen der immer noch offenstehenden Tür ab. Timothy Arthur hielt seinen Dolch fest in der
Hand. Ich nahm eine schnelle, verschwommene Bewegung wahr, und im nächsten Moment atmete Turner keuchend aus und riss die Augen auf. Seine Finger krallten sich in meine Haut, und dann sank er langsam zu Boden und riss mich mit.
»Alles in Ordnung, Mrs. Macdonald?«, fragte der Soldat und stieß mit dem Fuß Turners Körper, der mich erdrückte, fort.
Krampfartig zitternd und kurz davor, in Tränen auszubrechen, klammerte ich mich an seine Hand.
»Ich … ich … glaube schon.«
Behutsam drückte er mich auf den Sessel. Nach einer Weile trat er wieder zu Turner und beugte sich über dessen Leiche.
»Hattet Ihr Zeit, die Order zu siegeln?«
»Ja«, stammelte ich. Langsam kam ich wieder zur Besinnung. »Aber w …w … warum habt Ihr ihn getötet?«, fragte ich ihn, immer noch aufgewühlt von dem Ausdruck, der in Turners Augen gestanden hatte, als sich die Klinge in seinen Körper bohrte.
»Ich hatte keine andere Wahl. Er hätte uns angezeigt, und das hätte den Strick für uns bedeutet.«
Mit starrem Blick kratzte er sich das Kinn, vollständig versunken in seine Überlegungen, was er mit der Leiche anfangen sollte. Dann sprang er auf, fasste Turner unter den Achseln und zog ihn zum Bett, wo der Gouverneur immer noch unter der Wirkung der starken Droge schlummerte. Unter allerhand Verrenkungen gelang es ihm, ihn auf die Matratze zu hieven. Ich sah ihm verblüfft zu.
»Was macht Ihr da nur?«
Ein Lächeln überzog seine groben Züge und verlieh ihm einen sadistischen Ausdruck. Kurz dankte ich dem Himmel, dass er auf meiner Seite stand.
»Eine kleine Überraschung für Stuart, wenn er erwacht.«
Mit einer knappen Bewegung zog er den Dolch heraus, der immer noch in Turners Rücken steckte, und legte ihn Stuart in die Hand. Dann trat er einige Schritte zurück, um zufrieden sein makaberes Werk zu betrachten.
»Ich glaube, so wird es gehen. Und nun kommt, wir müssen so rasch wie möglich nach Blackstone′s Land zurück.«
9
Aufenthalt in Culross
Der Himmel hellte sich auf; bald würde der Morgen anbrechen. Unruhig ging ich vor dem Fuhrwerk auf und ab und sah immer wieder verstohlen zu der Straße, die nach Edinburgh führte.
»Wo bleiben sie nur so lange?«
Sàra war in die Betrachtung der fantastischen Tierköpfe versunken gewesen, welche die kleine normannische Kirche von Dalmeny, die aus einem anderen Jahrhundert stammte, schmückten. Jetzt drehte sie sich zu mir um. Ihre Züge waren verzerrt, ihre Lippen zusammengepresst.
»Und wenn sie gescheitert sind, wenn man sie ergriffen hat?«
Ich warf ihr einen zornigen Blick zu und marschierte erneut los. Unter meinen Schuhsohlen knirschten die Kiesel.
»Ich verbiete dir, so etwas auch nur zu denken, Sàra Dunn!«, rief ich verbittert.
»Sàra«, versetzte Matthew gelassener, »sie schaffen es schon, ihn herauszuholen. Hab Vertrauen …«
»Da sind sie!«, rief ich und wies auf eine Gruppe, die in unsere Richtung kam.
Je geringer der Abstand zwischen den Reitern und uns wurde, umso schmerzhafter verkrampfte sich mein Magen. Es waren wie erwartet vier Pferde, doch ich zählte nur drei Reiter. Sàra, der das ebenfalls aufgefallen war, stieß einen Schrei aus und klammerte sich an meinen Arm. Plötzlich bemerkte ich im grauen Licht des heraufdämmernden Morgens den Körper, der quer über dem Sattel
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