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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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sich vollständig seiner künstlerischen Arbeit widmen konnte.
    Eine Zeitlang hatten die Geschäfte floriert. Matthew hatte Carmichaels Nichte geehelicht, die ihm zwei wunderbare Töchter geschenkt hatte, Rosalind und Flora. Er lebte in einer kleinen Mietwohnung in der Advocate′s Close, nur wenige Schritte von meinem Vater entfernt, der schließlich seine zärtliche und aufmerksame Zimmerwirtin Mrs. Hay geheiratet hatte.
    Dann war in einer eisigen Winternacht mein Vater an einem Fieberanfall gestorben. Matthew hatte sich dazu durchringen müssen, den Laden zu schließen. Wir hatten gefürchtet, dass er sich erneut der Flasche zuwenden würde, doch er hatte durchgehalten. Patrick hatte ihn durch Vermittlung seines eigenen Arbeitgebers und Freundes, des Earl of Marischall, eines glühenden Jakobiten, in den Diensten des Duke of Gordon untergebracht. Und so hatte Matthew sich ganz ohne eigenes Zutun inmitten der leidenschaftlichen Intrigen der Jakobiten wiedergefunden, die danach strebten, einen Stuart auf den Thron von Großbritannien zu setzen.
    »Mein Gott!«, stöhnte Sàra und unterdrückte ein Würgen.
    Doktor Ross war von seinem Patienten, die jetzt durch das Laudanum betäubt war, weggetreten und hatte Quinlan Platz gemacht. Das Bein war auf mehreren Zoll Länge aufgeschnitten, so dass blutiges, abgestorbenes Fleisch und ein Stück Knochen sichtbar wurden. Behutsam kratzte und schnitt Quinlan das abgestorbene
Gewebe heraus und ließ es in eine Schale, die in seiner Nähe stand, fallen.
    Die Lampen, die angezündet worden waren, um dem Chirurgen bei der Arbeit zu leuchten, warfen unheimliche Schatten an die Wände. Das in konzentrierte Falten gelegte Gesicht des Arztes wirkte düster. In diesem Licht erinnerte er an einen dämonischen Wahnsinnigen, der frohlockend in dem noch warmen Fleisch eines Kadavers wühlt, den er anschließend bis auf die Knochen sezieren und ausweiden wird. Die Reste würden dann in der Kanalisation landen und von streunenden Hunden und wimmelnden Rattenschwärmen verschlungen werden…
    Ich hatte von solchen Forschern gehört, die in Edinburgh und in London aus Mangel an Studienobjekten sogar frisch bestattete Leichen ausgruben, um sie in Stücke zu schneiden. Die Überreste der Körper warfen sie pietätlos in die Gosse wie Metzgerabfälle. Die von Tieren sorgfältig und sauber abgenagten Knochen tauchten dann irgendwann in den Händen von Kindern auf, die sie als Spielzeuge gebrauchten.
    »Ich hab′s!«, rief Quinlan triumphierend und schwenkte einen winzigen, blutigen Knochensplitter. »Durch die Entzündung hat sich die Heilung des Knochenbruchs verzögert«, erklärte er und goss noch ein wenig Alkohol in die Wunde, bevor er die Wunde schloss. »Wir müssen ihm eine feste Schiene anlegen, damit das Bein richtig zusammenwächst. Hoffen wir, dass die Infektion nicht erneut aufflammt.«
    Sàra war jetzt beinahe so blass wie Patrick.
    »Ich fühle mich nicht besonders gut …«
    »Gehen wir nach draußen«, sagte ich und stand auf.
    Ich stellte mich vor meine Schwägerin, damit sie den Arzt nicht sehen konnte, der sich jetzt anschickte, das Bein zusammenzunähen. Auch ich wandte den Blick ab. Ich musste zugeben, dass der Geruch, der in der Küche herrschte, alles andere als appetitlich war. Ich ging zur Tür und zog die arme Sàra, die eine Hand vor den Mund geschlagen hatte, hinter mir her.

    Einige Stunden später saßen wir alle um den nämlichen Tisch und aßen eine wunderbar saftige Pastete aus Rindfleisch mit
Zwiebeln, zu der es ganz frisches Bier und schwarzes Brot gab. Sàra allerdings, die immer noch ein wenig grün im Gesicht war, stocherte nur in ihrem Teller herum, während sie zuhörte, wie die beiden Ärzte sich über ihre größten medizinischen Erfolge austauschten. Mein Magen dagegen erhob keine Einwände gegen die Nahrung, die ich ihm zukommen ließ. Ich leerte meinen Teller und wischte ihn mit einem letzten Stück Brot aus, das ich mit einem ordentlichen Schluck Bier herunterspülte.
    Die Männer hatten Patrick ins Obergeschoss getragen, in ein kleines, dunkles Zimmer. Wir waren übereingekommen, dass wir so lange hier bleiben würden, bis er in der Lage war, in einer Kutsche zu reisen. Dann würden Sàra, Marshall und er nach Fetteresso aufbrechen, um die Ankunft des Prätendenten auf schottischem Boden vorzubereiten.
    Nun, da die Anspannung der letzten Tage von mir gewichen war, empfand ich Liams Abwesenheit noch schmerzlicher. Nach dem Essen, als Sàra nach oben

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