Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
Die Menschen sahen ihn, aber sie gingen achtlos an ihm vorbei – einem Mann in einer dicken Jacke und mit einer Fischermütze, der sich tief über seine Taue beugte, als sei er beschäftigt. Der Alte, dem er die Sachen gestohlen hatte, ruhte ertrunken irgendwo tief unten im Kanal. Der Dunkle hatte fast schon vergessen, wie einfach es war, einen Menschen zu töten. Der Karneval rückte heran, es nahten die Nächte, in denen das Böse auf den Straßen sein wahres Gesicht zeigen durfte.
Und als die ersten Maskierten auf den Straßen auftauchten, wagte auch der Dunkle sich wieder in die Nähe des roten Palazzos.
Er hatte Glück. Der blonde Junge saß auf der Treppe vor dem Gebäude, neben sich ein Mädchen mit zerzaustem rotbraunen Haar. Nicht die Klarsichtige mit den Kristallaugen, sie wäre zu gefährlich gewesen, und auch an SIE traute er sich nicht mehr zu nahe heran, seit sie um ihre Kraft wusste. Aber an den Jungen konnte er sich heranwagen. Die Kleine wurde aufmerksam, als er sein Boot in die Nähe lenkte und lauschte.
»Fangen Sie Fische?«, rief sie ihm fröhlich zu. Er schüttelte den Kopf, aber er antwortete nicht. Das Kind wandte sich wieder an den Jungen. »Und Sara hat echt immer noch kein Kostüm?«, fragte sie. »Aber wie will sie denn heute auf den Karneval gehen?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Fedele wird es egal sein, wie sie aussieht, Hauptsache, sie tanzt mit ihm.«
»Ich wette, er wird aussehen wie ein Prinz. Kann ich da sein, wenn er sie abholt?«
Der Junge stand auf und klopfte sich die Hosen ab. »Nö, Pippa«, sagte er mit wichtiger Miene. »Fedele muss heute lange arbeiten, er kommt erst um zehn.«
Der Dunkle beobachtete, wie die Kinder in den Palazzo zurückgingen, der Junge lachend, das Mädchen verärgert und vor sich hin schimpfend. Dann erhob er sich zu seiner vollen Größe.
Sie erwartete also einen Prinzen, heute, in der Nacht der Fratzen. Er sah sich um. Unweit der Rialto-Brücke bestiegen ein paar Maskierte ein dröhnendes Fährboot. Der Dunkle lenkte sein Boot vom Palazzo weg.
In einem Seitenkanal wurde er fündig. Ein Mann trat aus einem Hauseingang. Er trug eine goldene Maske und einen grünen Umhang, aber man sah, dass er jung war – sein federnder Schritt und seine schlanke Gestalt verrieten ihn. Und sicher war er hilfsbereit. Der Dunkle paddelte näher an eine Treppe heran. Gerade als der Maskierte an ihm vorbeilief, lenkte er das Boot gegen die Treppe und ließ sich fallen. Es polterte. Der Mann blieb sofort stehen. Der Dunkle wusste, was er sah: einen armen Alten, der in seinem Boot gestürzt war.
»Kann ich Ihnen helfen?«, rief er.
Der Dunkle nickte. »Mein Bein«, flüsterte er.
Der Maskierte sprang herbei, lief die Treppen herunter und streckte ihm die Hand hin. Aber der Dunkle schüttelte den Kopf.
Der junge Mann riss sich die Maske vom Gesicht. Ein besorgtes, jungenhaftes Gesicht kam zum Vorschein. »Warten Sie, ich komme zu Ihnen aufs Boot.«
Der Dunkle nickte wieder und machte sich bereit. Das Boot schaukelte, als der Maskierte an Bord kam, und es schaukelte noch mehr, als der Dunkle ihn blitzschnell ansprang und seine schwarzen Hände um die Kehle des Mannes schloss. Der war viel zu überrascht, um sich zu wehren – und auch diesmal ging es schnell. Der Dunkle ließ den leblosen Körper los. »Tut mir leid, Junge«, sagte er mit einem kalten Lächeln. »Aber ich brauche deine Maske. Die Maske eines Prinzen.«
Maskenball
KRISTINA ENTGING NICHT , dass Sara am Tag des Karnevalsfestes summte, während sie die Touristen beim Frühstück bediente. Und je später es wurde, desto nervöser wurde sie. Kurz vor halb zehn stand sie ständig vor irgendeinem Spiegel in Nonnas Wohnzimmer und zupfte an ihren Locken herum.
»Für Fedele bist du sowieso nicht schön genug«, zog Jan sie auf und musste in Deckung gehen, weil die Bürste in seine Richtung flog.
»Beeil dich«, ermahnte Kristina sie. »In einer halben Stunde kommt dein Kavalier!«
Sara rollte mit den Augen und wies zur Tür. »Raus jetzt, ihr Quälgeister. Ihr tut ja gerade so, als wäre ich Aschenputtel und dürfte das Fest beim Prinzen nicht verpassen.«
Jan trollte sich, aber Kristina blieb an der Tür stehen.
»Was ist, Prinzessin?«, fragte Sara. »Du bist in letzter Zeit ein bisschen betrübt. Liegt es an der Schule?«
Dazu hätte Kristina tatsächlich einiges sagen können. Seit zwei Wochen besuchten sie die italienische Schule. Besser gesagt, sie versuchten es, denn so einfach,
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