Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
wie Kristina es sich vorgestellt hatte, war es nicht, sich in einem fremden Land in eine neue Klasse einzufinden. Sie und Jan hatten Luca seitdem kaum mehr gesehen. Natürlich musste er seine Nebenjobs und die Schule unter einen Hut bringen, aber Kristina hatte den Eindruck, dass er sich absichtlich zurückzog. Und was noch schlimmer war: Wenn sie sich doch einmal trafen, war ihr Freund plötzlich wortkarg und mürrisch, als würde ihm Fortunatos Tat wie eine Last immer schwerer auf der Seele liegen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als nachts mit den Donnole alleine loszuziehen und weiterzuforschen.
Sara trat zu ihr und strich ihr über das Haar. »Na, rück schon raus damit. Ist es wegen Luca?«
Kristina zuckte zusammen. Sara konnte immer noch Gedanken lesen.
»Er hat viel zu tun«, tröstete Sara sie. »Und vielleicht ist er auch traurig, dass ihr bald wieder nach Deutschland zurückgeht.«
Autsch. Noch ein wunder Punkt. Sosehr sie sich auf ihren Vater freute, so sehr schmerzte es Kristina, alles zurückzulassen, was sie hier so lieb gewonnen hatte. Und außerdem war das Geheimnis um Fortunato noch lange nicht gelöst. Sie schluckte schwer. »Freust du dich auf den Tanz?«, fragte sie dann. »Wenigstens ein bisschen?«
Sara verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ein bisschen«, gab sie zu. »Vielleicht auch ein bisschen mehr als nur ein bisschen. Fedele scheint wirklich viel daran zu liegen.«
»Klar, sonst hätte er sich ja nicht wochenlang darum bemüht, dass du einmal mit ihm sprichst.«
Sara wurde tatsächlich ein wenig rot. »Na ja, du weißt ja, wie es mit Jungs so ist. Wenn man sich einmal die Finger verbrannt hat …«
Kristina grinste und ihre Laune wurde sofort wieder etwas besser. Es war zum Lachen, aber trotzdem nett, dass Sara mit ihr immer wie mit einer Erwachsenen sprach.
»Ich glaube, Violetta hatte auch Liebeskummer«, fuhr Sara nachdenklich fort und zupfte vor dem Spiegel weiter an ihren Locken herum.
Kristina horchte sofort auf. »Hast du noch mal von ihr geträumt?«
Sara nickte ernst. »Gestern Nacht. Ich war wieder sie. Ich saß auf einer Treppe – und ich weinte. Es war genau derselbe Schmerz und dieselbe Wut, die ich gespürt habe, als ich erfuhr, dass Patrick mich betrogen hat.« Sie wedelte mit der Hand, als wollte sie das Traumbild verscheuchen. »Na ja, Ende mit den alten Geschichten!«, sagte sie entschlossen. »Warte unten und sag Fedele, ich komme gleich.«
Cesare stand unten an der Rezeption und war mächtig gespannt. Und auch Nonna, die erst vor ein paar Tagen wieder nach Hause gekommen war, hütete nicht das Bett, sondern saß in einem Sessel im Foyer, das Gipsbein auf einem Hocker, die Hände auf ihre Krücke gestützt.
»Ich hoffe nur, sie kommt nicht gleich in Jeans und einem ausgeleierten Sweatshirt herunter«, murrte sie besorgt. »Das traue ich ihr nämlich zu.«
Zehn Minuten später raschelte an der Treppe schwerer, edler Stoff. Zwei deutsche Touristinnen, die unten im Foyer auf ihre Männer warteten, wandten sich um und stießen bewundernde »Oh!«-Rufe aus.
Mit stolz erhobenem Kopf schritt Sara die Treppe hinunter. Unter einer Halbmaske ein strahlendes Lächeln, den Federfächer in der linken Hand, die rechte Hand, die ebenfalls in einem feinen lila Handschuh steckte, glitt am goldenen Treppengeländer entlang.
»Da soll mich doch der Blitz treffen«, murmelte Cesare.
Nonna atmete auf. »Es geschehen wohl doch noch Wunder.«
Kristina und Jan dagegen brachten vor Staunen kein einziges Wort heraus.
Jene stolze Schönheit, die die Treppe herunterschwebte, konnte unmöglich Sara sein. Sie hatte es ernst gemeint, als sie sagte, dass sie kein neues Kleid brauche. Sie trug nämlich Violettas altes Festgewand, und es passte ihr, als wäre es nur für sie gemacht worden. Zwar war der Stoff ausgebleicht, dennoch wirkte es ebenso edel und prächtig wie auf Violettas Gemälde. Die kostbaren Laqua -Glasperlen an ihrem Ausschnitt waren vom Staub befreit und schimmerten, die drei fehlenden Stücke hatte Sara durch neue, einfache Muranoperlen ersetzt, die zwar längst nicht so strahlend waren, aber gut dazupassten.
»Marco würde in Ohnmacht fallen, wenn er sehen könnte, dass sie die Antiquität spazieren führt«, murmelte Kristina Jan zu.
Aber ihr Bruder steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen anerkennenden Pfiff aus, als Sara sich auf der letzten Treppenstufe einmal um sich selbst drehte und anmutig knickste, was sie in Kristinas Augen
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