Lass den Teufel tanzen
Stunden, in denen sie zwischen all den Ständen und den Maskierten auf dem Corso in Richtung Dom unterwegs waren, um dem Dorfpfarrer Don Filino einen Teller mit Karnevalskringeln vorbeizubringen und sich auf eine kurze Plauderstunde bei ihm niederzulassen, in der es darum ging, dass der Karneval auch nicht mehr das sei, was er einmal war, und es, ganz allgemein gesprochen, keine Frömmigkeit auf der Welt gebe. Jedenfalls hatten sie bei ihrer Rückkehr Geräusche in der Küche gehört. Als sie das Licht einschalteten, fanden sie Angelo auf dem Boden liegend vor, offenbar betrunken und in verwirrtem Zustand. Im Haus herrschte ein Geruch nach Verbranntem, und auf
dem Küchenboden lagen mehrere vormals weiße, fast vollständig verkohlte Stofffetzen.
Fatima war sogleich ihrem Bruder zu Hilfe geeilt, hatte ihn mühsam wieder auf seinen Rollstuhl gehievt und ihn dann mit den Worten »Ich bringe ihn gleich ins Bett« ins andere Zimmer geschoben.
Candelora blieb stumm im Zimmer stehen und betrachtete sorgfältig all das, was da in dem Raum verteilt lag, wie ein Kriminalbeamter, der an einem Tatort mit der Beweisaufnahme beginnt. Schließlich hatte sie sich auf die weißen Stoffstückchen konzentriert, hatte sie aufgesammelt, mit den Fingerspitzen geprüft, auf dem Tisch ausgebreitet und begonnen, sie genau zu betrachten, um irgendeinen Hinweis darauf zu finden, woher sie stammen könnten. Und als ihr dann, auf eine Vermutung Fatimas hin, die aus Angelos Zimmer zurückgekehrt war, der Gedanke in den Sinn kam, es könne sich um Teile jenes absurden Kommunionkleidchens handeln, mit dem jene übel riechende kleine Hexe, Solimenes Tochter, gelegentlich im Dorf unterwegs war, fegte sie zusammen mit der Schwester sorgfältig den Boden, löschte ein paar Kerzen, die seltsamerweise brannten, und öffnete schließlich die Glastür, um zu lüften.
Der leichte Windstoß, der von draußen hereinkam, brachte ein beschriebenes Blatt Papier ins Flattern, das unter dem Tisch lag. Candelora sah es, hob es auf, faltete es, nachdem sie sich mit einem schnellen Blick vergewissert hatte, dass es sich um ebendas Schriftstück handelte, das sie vermutet hatte, zusammen und steckte es in die Tasche. Fatima, die fragte, was das sei, antwortete sie: »Nichts. Die Einkaufsliste für morgen.«
Candelora, die mit Angelos Geschäften vertrauter war als die Schwester, wusste um die Existenz jenes Dokuments ebenso wie darum, dass ihrem Bruder diesbezüglich sehr an einer gewissen Diskretion gelegen war, auch wenn sie nie so recht begriffen hatte, warum.
Wahrscheinlich war es auch das erste Mal, dass in ihrem Verstand, der wie eine Kommode mit vielen Schubladen bestückt war, in die jedes Ding gemäß einer genauen und unverrückbaren Ordnung abgelegt wurde, die verwirrende Möglichkeit eines Verdachts auftauchte. Einen Moment lang dachte sie, es könne durchaus möglich sein, dass auf jenem Schriftstück das Schicksal ihres Bruders festgeschrieben stand und dass sie, wenn sie es sich in die Tasche steckte, Angelo auf ewig in der Hand habe. Sie konnte nicht wissen, dass die folgenden Stunden jener Karnevalsnacht das Dokument schließlich zu nichts anderem machen würden als einem schlichten Stück Papier, von dem keinerlei Macht mehr ausging.
Am darauffolgenden Morgen, während sie die Blätter wegfegten, die der Wind von den Bäumen gerissen hatte, fanden Fatima und Candelora in der Einfahrt eine Frauenperücke aus blondem Kunsthaar.
Angelo, die Gitarre und die blonde Frau
EINES TAGES, ETLICHE Jahre vor 1956, waren die beiden Zwillingsschwestern auf dem Weg zum Haus ihrer Schneiderin, die ihnen mehrere Kleider an der Taille, die durch die Wechseljahre breiter geworden war, weiten sollte, und überquerten gerade den Corso. Kerzengerade schritten sie in ihren schwarzen Gewändern einher, die knöchellang und längst aus der Mode waren, als Fatima, kaum waren sie in ein Gässchen hinter dem Dom abgebogen, urplötzlich stehen blieb, dem Unterarm ihrer Schwester einen kleinen Schlag mit dem Handrücken versetzte und eine ruckartige Bewegung mit dem Kinn machte, als wollte sie sie auf etwas aufmerksam machen. Nur wenige Meter von ihnen entfernt standen Angelo und eine Frau. Sie waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft, genauer gesagt schien sich die Frau im Lauf der Unterredung immer mehr zu echauffieren, während Angelo ganz ruhig und gefasst dastand, eine Schulter an eine Mauer gelehnt, obwohl ihm das rechte Bein schon damals große Schmerzen bereitet
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