Lass den Teufel tanzen
Nein, diese Gitarre hatte Saiten aus Eisen! Was für ein Teufelsding, und welch kräftige Hände brauchte man, um dieser Ansammlung von Eisenteilen auch nur einen anständigen Ton zu entlocken, etwas, das nicht so ohrenbetäubend klang wie der Zusammenstoß zweier Eisenbahnen. Und so kam es, dass sich die Schwestern an jenen nicht enden wollenden Nachmittagen, wenn ihr Bruder sich in das Arbeitszimmer, wo er sonst den Landarbeitern ihren Wochenlohn auszahlte, zurückzog, um zu üben, hinter die geschlossene Tür stellten und mit angehaltenem Atem, damit man sie nicht bemerkte, lauschten. In der ersten Zeit war es eine echte Qual gewesen … Krach … ganz genau, nichts anderes als Krach. Im Lauf der Monate wurden die Töne jedoch geschmeidiger, geordneter, und
irgendwann hatten Fatima und Candelora dort hinter der Tür bemerkt, dass sich nicht nur der Klang der Gitarre verändert hatte, sondern auch ihr Bruder. So, als wäre da in jenen ersten Monaten, die er sich im Arbeitszimmer eingeschlossen hatte, ein prähistorisches Wesen gewesen, ein primitiver Affe, der weder den Gebrauch der Dinge noch seiner eigenen Gefühle erlernt hatte, eine Kreatur, die mit einzigartiger Zerstörungswut auf die Gitarre einschlug und ihr dröhnenden Lärm entlockte. Irgendwann jedoch schien der Affe eine Anleitung oder Gebrauchsanweisung gefunden zu haben, als hätte ihn eine mysteriöse Kraft dazu veranlasst, sein Ungestüm zu bremsen und gefälligere Töne anzuschlagen. Ganz allmählich hatte sich der Affe aufgerichtet, und jetzt ging er auf zwei Beinen und produzierte jeden Tag getragenere, harmonischere Klänge.
Wenn Angelo zu seinem Instrument griff, setzte sich oft Nunzio Solimene zu ihm, rollte sich eine Zigarette und hörte mucksmäuschenstill zu, als würde ihm diese Musik tatsächlich gefallen. Vielleicht ertrug er sie aber auch nur, um seinem Herrn Gesellschaft zu leisten oder um seiner Berufung zum Untergebenen gerecht zu werden.
Von den Bauern hatte Angelo ein paar Stücke gelernt, die hundert Jahre alt waren, Lieder, die hauptsächlich von Frauen und von Armut handelten, von der Mühe der Feldarbeit oder vom Hunger. Er sang und spielte sie. Dasjenige, das den alten Zwillingsschwestern am meisten das Herz zerriss, war eine Serenade, deren Text lautete:
Donna ci stai alle cammere ’nzerràta
E jeu a qua’ fore cojiu le friscure
Lu chiòvere me pare acqua rosata
E lu nivicare nu campu de fiori. 2
Die Zwillinge wunderten sich darüber, dass ein Mensch wie Angelo, der ansonsten jeglicher Weichlichkeit abgeneigt war, eine solche Leidenschaft für sentimentale Lieder entwickeln konnte. Vielleicht, so dachten sie, lag das daran, dass manche Reiche sich denen gegenüber, die nichts besitzen, schuldig fühlen. Und vielleicht war ja Angelo einer von ihnen und hatte deshalb auch nichts dagegen, wenn einer von so niederem Stand wie Solimene dort saß, seine Zigaretten aus billigem Schnitttabak rauchte und ihm dankbar zuhörte.
Bevor seine Zuckerkrankheit ihm die Stimmbänder zerfressen hatte, war Angelos Stimme tief und kräftig gewesen und so wohltönend, dass es den Schwestern, wenn sie ihm lauschten, schien, als legte der Bruder seine ganze Menschlichkeit, die seinem alltäglichen Auftreten so wenig anzumerken war, in seinen Gesang.
Mit dem Fortschreiten der Krankheit klang seine Stimme immer mehr wie der schlaffe Balg einer Ziehharmonika oder ein Reibeisen für Käse. Umso unerklärlicher war es den Schwestern, dass dieses hässliche Wesen von Bruder, kaum fing es an zu singen, eine Seele zu haben schien.
Abgesehen von jener Zeit mit der Gitarre, die für eine Weile in den beiden Schwestern den Glauben geweckt hatte, im
Leben des Bruders könne eine wie auch immer geartete Fähigkeit zur Empfindung zum Durchbruch kommen und ein Tor zur regen Welt jenseits der Mauern von Terranera aufstoßen, war Angelo so verschlossen geblieben wie immer.
Seit die Zwillinge ihn in Begleitung von Virginia, der Sapúta, gesehen hatten, hatten sich die Ereignisse überstürzt. Jeden Tag tat ihm das Rückgrat mehr weh, das rechte Bein versagte ihm allmählich den Dienst, und innerhalb nur weniger Monate musste er mehrere Blutuntersuchungen über sich ergehen lassen, bei denen sich herausstellte, dass er an einer besonders schlimmen Form von Diabetes litt, die ihm im Verlauf der Jahre beide Füße brandig werden ließ und ihn für immer längere Zeit in den Rollstuhl zwang. Eines Tages war er dann im Hof neben dem Brunnen gestürzt und
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