Lass den Teufel tanzen
und viel Lebenserfahrung brauchen, bis er begriff, warum er in genau dem Moment noch heftiger an Archina Solimene gedacht hatte als sonst. Ihm schien es, als liefe sie da unten zwischen den Erdbeersträuchern umher, über und über mit Hühnerkacke bedeckt, mager und stinkend, ein Mädchen, das lachte, ohne den Mund zu verziehen. Er musste an die letzten Monate zurückdenken, die er auf dem Hof der Santos verbracht hatte. Daran, dass Archina sich irgendwie verändert zu haben schien, einfach so, von einem Tag auf den anderen. Plötzlich hatte sie keinen Spaß mehr daran, bei den Hühnern herumzulaufen, und wenn er mit ihr sprach, gab sie keine Antwort. Einmal hatte er sie angebrüllt, hatte ihr gedroht, nicht mehr mit ihr zu spielen, wenn sie nicht endlich wieder lachte und ihm auf der Stelle sagte, was mit ihr los sei. Er hatte sie sogar gefragt, ob es vielleicht seine Schuld sei und er sie verärgert habe, ohne es zu wollen. Doch sie erlitt statt einer Antwort nur einen ihrer trockenen Hustenanfälle, die aus heiterem Himmel kamen und wie das Kläffen eines Straßenköters klangen. Damals hatte Angelo Santo sie gehört, rumpelte mit seinem Rollstuhl bis hinter den Hühnerstall und starrte sie mit seinem geifernden Greisengesicht an. Einfach so, ohne ein Wort zu sagen.
Am darauffolgenden Tag hatten ihn die Zwillingsschwestern rasch einen Koffer packen lassen, dann war Solimene, Archinas Vater, gekommen und hatte ihn mit dem Linienbus bis hierher ins Nonnenkloster gebracht, weit, weit weg.
Und jetzt, während dieses Eselsmädchen völlig verängstigt vor der Klasse stand und die demütigendste aller Züchtigungen über sich ergehen ließ, der man im Lauf seiner Schulzeit ausgesetzt sein konnte, fühlte sich Severino auf einmal sehr schlecht.
Ihm schien, als drehte sich die ganze Klasse um sich selbst, immer schneller und schneller, während er mitten in diesem gewaltigen Wirbel stand, so wie es um jemanden ganz still wird, der im Auge des Sturms steht, während um ihn herum die Welt in Stücke geht. Und er ahnte zum ersten Mal den wahren Grund dafür, warum man ihn von Archina getrennt und in dieses Kloster eingesperrt hatte. Er verspürte einen scharfen, reißenden Schmerz, wie einen spitzen Nagel, der sich ganz langsam in sein Herz bohrte. Doch es war kaum mehr als eine wirre Ahnung, denn schließlich war er zu diesem Zeitpunkt gerade erst zehn Jahre alt.
Archina, der Teufel und die Tarantel
Von der Freude, die es Menschen, die aus dem Leben verstoßen sind, bereitet, wenn sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und eine übernatürliche und anerkannte Rolle spielen
A. MÉTREAUX
Der Priester, der Teufel und der liebe Gott
DON FILINO REZZA hatte zu großes Vertrauen in die gewaltige Güte Gottes, um sich ernsthaft mit der Macht des Satans zu befassen. Im Lauf seiner Tätigkeit als Priester hatte er sie in den verschiedensten Schattierungen erlebt. Er hatte erlebt, wie Menschen stahlen, wie sie zu Huren gingen, wie sie ihre Kinder schlugen oder auf Hunde schossen. Er hatte gelernt, den Teufel wie ein Wesen von minderen Fähigkeiten zu sehen, das auf der Welt sein Unwesen treibt, stets auf der verzweifelten Suche nach jemandem, der besser ist, damit er ihn durch seinen Einfluss schlechter machen kann. Alles in allem ein »armer Teufel«, im wahrsten Sinn des Wortes. Schon bald hatte er allerdings auch begreifen müssen, dass der Einfluss Gottes auf die Menschen mittlerweile so schwach war, dass der Teufel sogar dreihundert Tage in Urlaub hätte gehen können, ohne dass es jemand gemerkt hätte. Die Welt wäre auch nicht besser geworden.
Als jungem Mann im Priesterseminar hatte man ihm beigebracht, dass der Teufel für die Christen – ebenso wie für die Heiden, die Moslems und die Hindus – das Höllenfeuer ist. Flammen und Feuer, die je nach Religion anders dargestellt wurden, doch immer Flammen und Feuer. Und so war in seiner Erinnerung auch eines der ersten Bildnisse, die sich Don Filino von der Idee Gottes gemacht hatte, das
eines Feuerwehrmanns, der vierundzwanzig Stunden lang damit beschäftigt ist, Brände zu löschen. Doch mittlerweile war das offenbar nicht mehr so. Und auch der Teufel genoss nicht mehr die Glaubwürdigkeit, die er früher einmal gehabt hatte. Andererseits – überlegte Don Filino – befinden wir uns in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, und es bereitet den Leuten mittlerweile Mühe, an jemanden zu glauben, der zunächst alles daransetzt, dass du ihm dein
Weitere Kostenlose Bücher