Lass den Teufel tanzen
des Tamburins, inmitten des Tanzes dieser kleinen Seele, mitten durch den ausgezehrten Körper der Archina hindurch, die sich in immer heftigeren Zuckungen am Boden windet und wälzt, an genau diesem Nachmittag ein jeder von Neuem beginnt, an seiner irdischen Rettung zu arbeiten.
Zweiter Tag
IM MORGENGRAUEN DES zweiten Tages ist Filomena die Erste, die aufwacht. Gestern Abend, als die Musikanten und die kleine Zuschauermenge gegangen sind, haben sie überall Unrat hinterlassen. Schmutzige Teller auf dem Tisch, Gläser, in denen ein Rest Wein oder Likör stand, überall im Raum verteilt, ein Schnupftuch unter einem Stuhl, schmutzige Fußabdrücke, Papierfetzen, Zigarettenkippen, die Solimene mit dem Fuß auf dem Boden ausgedrückt hat. Doch an die ist Filomena gewöhnt. Ihr Vater ist der Einzige, der die ganze Zeit über weitergeraucht hat. Die anderen, wie der Mann der Kusine von Donna Aurelia und sein Trauzeuge, sind bei Bedarf immer hinausgegangen, um im Freien zu rauchen, als Zeichen des Respekts vor der Erkrankten und vor den Musikanten, aber das waren auch die einzigen Männer, die noch da waren. Ansonsten sind es nur noch Frauen gewesen, emsige Hausfrauen aus der Nachbarschaft, die den ganzen Tag anderes zu tun haben, als die Zeit mit Rauchen zu vertändeln. Außerdem raucht eine anständige Frau keine Zigaretten, nicht einmal, wenn sie allein für sich ist, ganz zu schweigen in Gesellschaft. Jetzt, im grellweißen und noch taufrischen Licht, das durch das kleine Fenster in die Küche fällt, ähnelt das Haus der Piazza della Signuría nach dem Fest des heiligen Rochus. Oder, denkt Filomena, es fehlen nur noch das Konfetti und die Luftrüssel und man könnte
meinen, hier drinnen habe eine Neujahrsfeier stattgefunden.
Mit Engelsgeduld beginnt sie aufzuräumen. Um die Mittagszeit werden die Musikanten zurückkehren, und wie immer ist es Filomenas Aufgabe, etwas zu essen zuzubereiten. Filomena spült ab, Filomena gibt die Pasta ins Wasser, sie schält die Kartoffeln und anderes Gemüse. Mit zwanzig ist sie immer noch unförmig wie eine Milchkuh, so wie sie es mit zehn und mit fünfzehn war. Ein plumper Körper, runde Augen. Noch nie hat sie Schuhe mit Absätzen getragen. Beim Gehen blickt sie zu Boden, und es ist nicht nötig, dass ihr jemand Anweisungen gibt oder ihr sagt, was sie zu tun hat, weil sie immer weiß, was von ihr erwartet wird, und es ihr nicht einmal im Traum eingefallen wäre, nicht dort an ihrem Platz sein zu wollen, nicht zu putzen, zu kochen oder im Haus der Grecos zu arbeiten, auch wenn sie hinterher alles, was sie verdient, dem Vater abgeben muss. Anders als ihre kleine Schwester, die jetzt mit diesem Tanzen angefangen hat. Legt sich einfach auf das Betttuch, mitten unter die Leute, und alle starren sie an und reden im Flüsterton, um sie nicht zu stören.
Gestern, während die Musik spielte, während Archina mit dem Kopf gegen das Laken schlug, während sie sich wälzte und krümmte, was für Filomena nicht wie ein Tanz aussah, sondern wie der Gang irgendeines Tiers, sind auf einmal zwei Fremde mit einem Fotoapparat gekommen, die sich ganz still und reglos an den Rand des Lakens stellten, zuschauten und Fotos machten, nur von einer Seite, um Archina nicht zu stören. Und einer hat zu dem anderen etwas Seltsames gesagt und dabei sehr zufrieden ausgesehen.
Er sagte: »Sie macht den hysterischen Bogen!«, woraufhin der andere nickte, als wollte er sagen: »Tatsächlich, ja«, dabei aber den Kopf schüttelte und ein Gesicht machte, als könnte er es gar nicht glauben. Die beiden schienen richtig begeistert zu sein. Filomena hat nicht recht begriffen, wer die beiden eigentlich waren oder was sie denn so schön oder interessant an ihrem Zuhause fanden. An einem bestimmten Punkt hat sie auch gesehen, wie die beiden, als die Musik eine Pause machte, vom Teller der Musikanten ein paar Krapfen aßen und sich sogar ein halbes Glas Wein nahmen, als gehörten sie zur Familie.
Filomena räumt fertig auf, macht dann die Haustür ihrer kleinen Wohnhöhle auf und legt einen Stein davor, damit sie den ganzen Tag offen bleibt und jeder hereinkann. Auf der Mauer neben der Tür liegt ein Päckchen aus der Schlachterei. Darin ist das Pferdefleisch, das ihr die Nachbarin, die Frau des Metzgers, gestern versprochen hat. Filomena geht zum Brunnen, um einen Eimer Wasser zu holen, dann trägt sie das Päckchen ins Haus, schneidet das Pferdefleisch in nicht allzu kleine Würfel und brät es in einem Terrakottatopf
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