Lass den Teufel tanzen
Blasi, die gut aufeinander eingespielt sind, einen kurzen Blick und beginnen mit der ersten Melodie. Donna Aurelia singt:
Tutte le fontanelle sú siccate
Povero amore mio, more di sete
More di sete, more di sete,
Povero amore mio, more di sete. 4
Der eine oder andere der Nachbarn scheint die Weise zu kennen und fällt schüchtern in den Gesang mit ein. Alle starren zu dem Feldbett, auf dem Archina noch immer reglos liegt, als würde sie die Musik gar nicht hören. Nachdem sie eine Weile mit dem ersten Lied weitergemacht haben, ohne dass es auf die Kranke Eindruck zu machen scheint, beschließt das Orchester auf Anraten der Zuhörer, ein anderes Lied zu spielen. Es folgt ein Ritornell im Mazurkatakt, das auf den Tanzböden der Dorffeste, wo die Musikanten reihum aufspielen, immer ein großer Erfolg ist. An diesem Punkt gleitet Archina, ohne jedoch ihren geistesabwesenden Zustand abzulegen, vom Feldbett zu Boden, rutscht auf dem Rücken bis zu dem weißen Leintuch und legt sich in dessen Mitte.
Nur für sie erscheinen jetzt auf der imaginären Leinwand an der Mauer die ersten Blitze, ein mattes Licht, Gestalten.
Mamma ci no’ me ’nzuru
Jeu me la tàju
Sutt’a lu focalire
Me la ’impennu. 5
Das Ritornell im Mazurkatakt dauert noch einige Minuten an, doch Archina bewegt sich nicht. Sie liegt da, mitten auf dem Laken, den Bauch in die Luft gereckt, verzieht aber keine Miene. Ihre Augen sind starr auf die Wand gerichtet. Einer der Anwesenden macht den Vorschlag, ihr ein buntes
Tuch zu reichen, weil man eben, wie er sagt, manchmal starke Farben braucht. Da bückt sich der kleine Junge mit dem schmuddeligen Unterhemd, hebt eines der Bänder auf, die neben dem Bettlaken liegen, und gibt es Archina, die es entgegennimmt und beginnt, es zwischen ihren Händen hin und her zu reichen, als würde sie es streicheln. Wäre dieser Junge ein anderer gewesen, einer, den man von ihr fortgebracht hat, weit, weit weg bis an die Küste des anderen Meeres, wäre der Junge Severino, dann wäre der Teufel vielleicht gar nicht gekommen, um sie zum Tanz aufzufordern.
An der Wand erscheint jetzt, nur für sie sichtbar, eine Tigerin. Die Tigerin versteckt sich im Gebüsch vor dem Haus.
»Wie viele Tränen, wie viele Tränen, eine Wunde und eine Rose, ein Gebet, das zu Ende geht«, scheint die Mazurka mit ihren eigenen Worten zu sagen, doch auch dieser Rhythmus genügt offenbar nicht. Archina bewegt sich nicht, und sie beginnt auch noch nicht zu tanzen.
Das rote Auge der verborgenen Tigerin verschwindet im Gebüsch, taucht wieder auf.
Donna Aurelia wartet, bis die letzten Töne des Liedes verklungen sind, und beginnt dann, nach einem kurzen Blickwechsel mit der Gitarre und der Geige, die Melodie mit den fallenden Terzen anzustimmen, auf die der Teufel gewartet hat.
Santu Paulu meu de le tarante
Santu Paulu meu de le tarante
Pizzichi le zitelle a menzu all’ anche
Santu Paulu meu de Galatina
Facitine ’na grazia stammatina. 6
Donna Aurelia setzt das Gebüsch in Brand, um die Tigerin auszuräuchern. Das Tier wälzt sich hin und her, bleibt jedoch im Schatten liegen.
Alles ist unter Kontrolle. Dazu dient die Musik. Um die Kontrolle zu behalten.
Der Musiker ist eine Spinne, die sich ein Netz aus Eisen gesponnen hat. Wo Unordnung herrscht, räumt die Musik auf. Unter den Musikanten herrscht so viel Disziplin wie in einem kleinen Heer aus Soldaten, und den Ton gibt das Tamburin an, wie ein General.
Als in der Küche der Solimenes die Musik ihren Höhepunkt erreicht, spüren alle Anwesenden, wie es ihnen in der Brust ganz eng wird, als könnte ihr Herz nicht mehr so kräftig schlagen, wie es will, doch die Musik löst diese Enge auf.
Santu Paulu me de li scurzini
Pizzichi li carusi a li cugghiuni
Santu Paulu meu de le tarante
Pizzichi le zitelle a menzu all’ anche. 7
Ganz langsam mischt sich ein dumpfer Ton unter den Klang der Instrumente und dringt bis in den hintersten Winkel der Wohnhöhle vor. Es ist der Herzschlag, der endlich an die Oberfläche treibt und den Raum überschwemmt, und mal wiegen sich die Anwesenden in seinem Takt, mal stehen sie ganz still und aufmerksam da und lauschen. In dem dunklen und feuchten Haus der Solimenes breitet er sich aus, er legt sich auf die Menschen und die Dinge, wie eine Zeit außer Reichweite, die niemand ermessen oder anhalten könnte. Keiner hier wäre in der Lage, das in Worte zu fassen, doch alle spüren, dass in diesem Schlagen, in dieser Verstimmtheit der Saiten und
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