Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa De Sio
Vom Netzwerk:
Auch hatte das Mädchen fast völlig das Essen eingestellt. Manchmal richtete ihr Marianna am Nachmittag, gegen fünf, eine schöne Scheibe hausgebackenes Brot mit fettem Weichkäse oder mit goldbraun gebratenen Auberginen her, die noch vom Mittagessen übrig waren. Früher war Archina darauf immer ganz versessen gewesen. Doch so wie Donna Marianna es ihr hinstellte, so fand sie es auch unberührt wieder, neben den Farbstiften und dem Blatt Zeichenpapier, auf dem Archina schon lange nicht mehr malte. Auch wusch sie sich nicht mehr. Oft stank sie auf geradezu
unerträgliche Weise, wenn sie zu ihnen ins Haus kam, und Marianna musste mühsam auf sie einreden, damit sie ein Bad nahm. Archina hatte sogar damit aufgehört, ihre Kleider zu wechseln. Mittlerweile trug sie tagaus, tagein jenen Kittel aus himmelblauem Wollstoff mit einer langen Knopfreihe am Revers, der aussah wie die Uniform irgendeines Waisenhauses. Marianna konnte einfach nicht verstehen, wie ausgerechnet das ihr liebstes Kleidungsstück sein konnte. Dann war sie eines Tages mit einem kleinen Beutel am Gürtel aufgetaucht, der aussah, als wäre er aus einem alten Kopfkissenbezug genäht. Und den sie nie wieder ablegte. Marianna hatte sofort begriffen, dass der Kleinen viel an dem Beutel mit seinem mysteriösen Inhalt lag, weshalb sie sich mit Fragen zurückgehalten hatte, doch niemandem war es je gelungen, ihr auch nur ein Wort darüber zu entlocken, was denn da drin sei. Wenn sie oder Narduccio auch nur auf den Inhalt anspielten, legte Archina instinktiv die Hand an den Gürtel und bedeckte damit den Beutel, als wollte sie ihn beschützen. An einem bestimmten Punkt hatte Archina auch noch begonnen, sich rar zu machen. Manchmal kam sie tagelang überhaupt nicht zu ihnen ins Haus, und als Donna Marianna einmal Filomena gefragt hatte, wo denn ihre Schwester sei, hatte diese nur schlicht geantwortet: »Die spielt mit Severino.«
    »Und wer ist dieser Severino?«, hatte Marianna gefragt, überaus verwundert und verärgert darüber, dass sie nichts davon wusste. Filomena war gerade dabei gewesen, die cozze piccinne zuzubereiten – ein Gericht aus Schnecken, das man auch passatiempu, also Zeitvertreib, nannte, weil es Mühe machte, das wenige Fleisch aus den Schneckenhäusern
zu stochern –, sodass ihre Aufmerksamkeit ganz der Pfanne galt. Und da Filomena die Angelegenheiten ihrer kleinen Schwester sowieso mit einer dumpfen Verständnislosigkeit betrachtete, ging sie auf Mariannas Frage gar nicht ein, sondern schaute weiter den Schnecken beim Garen zu und zog den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, um – ganz die dröge Milchkuh, der sie so sehr ähnelte – weiterzuweiden, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Und so hatte Donna Marianna beschlossen, am nächsten Tag zu den Solimenes nach Hause zu gehen und selber mit Donna Aurelia zu sprechen.
    Auf diese Weise hatte Mariannina von der Existenz Severinos erfahren, der eine Art Neffe der Geschwister Santo sei und bei ihnen im Haus lebe. Außerdem hörte sie damals zum ersten Mal, dass Nunzio Archina oft nach Terranera mitnahm und die beiden Kinder einander recht lieb gewonnen hatten. Und noch etwas anderes sollte Marianna im Lauf der kurzen Unterhaltung mit Aurelia entdecken: dass nämlich auch die Frau, der Marianna aufgrund ihrer so viel geringeren Abstammung keineswegs eine solche Sensibilität zugesprochen hätte, durchaus bemerkt hatte, dass das Verhalten Archinas Schwankungen unterlag. Und dass die Sache Aurelia ebenso beunruhigte wie sie selbst. Allerdings hätte Donna Aurelia dafür Behandlungsmethoden vorgeschlagen, die Lichtjahre von Mariannas Vorstellungen entfernt waren.
    Als sie an jenem Abend nach Hause kam, hatte Marianna lange mit ihrem Ehemann Narduccio darüber gesprochen, dem Einzigen, bei dem sie das Gefühl hatte, eine solche Frage erörtern zu können.

    Nicht allzu lange vor jenem Karneval des Jahres 1956 hatte Donna Marianna Archina zu ihrem dreizehnten Geburtstag einen roten Faltenrock und eine passende rote Bluse mit kleinen gelben Blümchen gekauft. Archina hatte die Kleidungsstücke lange angeschaut und schweigend über den Stoff gestrichen, so wie man einen toten Hund streichelt, und ihr dann gedankt. Schließlich blickte sie zu Mariannina empor, die lächelnd vor ihr stand und gespannt auf irgendeine Reaktion wartete, und sagte: »Donna Mariannina, wisst Ihr eigentlich, dass ich mich heute Nacht entwickelt habe?« Weder den Rock noch die Bluse hatte sie jemals anprobiert,

Weitere Kostenlose Bücher