Lass den Teufel tanzen
noch hatte Donna Mariannina die Kleidungsstücke auch nur einmal an ihr gesehen.
Marianna hatte dieses verschlossene und verstockte Verhalten stets als Zeichen einer Unduldsamkeit gegenüber gesellschaftlichen Regeln betrachtet, aus der nichts anderes sprechen konnte als eine höhere Form der Intelligenz. Und auch als Archina mit der Zeit stiller und unzugänglicher wurde und immer mehr einem wilden Tier zu ähneln begann, hatte Marianna nie aufgehört, sie als ein Wesen zu betrachten, das einfach viel intelligenter war als die meisten Menschen aus ihrer Bekanntschaft.
Nun jedoch, als sie an diesem späten Sonntagnachmittag an ihrer Haustür lehnt und Nunzio entgegenblickt, diesem Vater, der ihr nie gefallen hat, empfindet sie erneut einen seltsamen Widerwillen und erschaudert fast, als er, ohne ihr auch nur einen guten Abend zu wünschen, sagt: »Ist Compare Narduccio da?«
»Meinem Mann geht es nicht sehr gut. Er ist heute Nacht
spät nach Hause gekommen. Ihr wisst ja – der Karneval, das Feiern, die Freunde … Er ist den ganzen Tag nicht aus den Federn gekommen und immer noch auf seinem Zimmer, um sich auszuruhen. Was kann er denn für Euch tun?«
»Ich muss mit ihm reden.«
»Ihr könnt es ruhig mir sagen!«, erwidert Mariannina und bleibt, ohne auch nur einen Zoll zu weichen, an die Tür gelehnt stehen.
Nunzio dreht den Hut in den Händen, sagt nichts und sieht ihr auch nicht ins Gesicht. Dennoch rührt er sich nicht von der Stelle.
»Habt Ihr mich nicht verstanden?«, fragt Mariannina. »Ich habe gesagt, dass mein Mann sich nicht gut fühlt. Entweder Ihr sagt es mir, oder ich kann Euch nicht helfen.«
An diesem Punkt hat es den Anschein, als würde der Mann einen Moment lang aus der Isolation treten, in der er ansonsten immer zu leben scheint, und schaut Donna Mariannina direkt ins Gesicht, als wäre er dabei, eine Entscheidung zu fällen. Marianna sieht ihm zum ersten Mal tief in die Augen – einen Moment lang, der unendlich scheint. In dieser kurzen Zeitspanne glaubt sie die Welt aus der Warte dieses Mannes wahrzunehmen, und von dort betrachtet ist diese Welt wie ein Friedhof aus Eisen und Eis. Marianna verspürt einen kalten Wind, der gar nicht weht. Dann wendet der Mann den Blick ab, und die Temperatur um sie herum steigt wieder. Marianna hört, wie Nunzio mit leiser Stimme zu ihr sagt: »Meiner jüngeren Tochter ging es auch nicht gut. Auch sie ist heute Nacht spät nach Hause gekommen. Mir hat sie gesagt, sie sei auf dem Fest mit Narduccio zusammen gewesen.« Marianna schweigt gebannt. »Dann ist sie
weggegangen, und wir haben sie nicht mehr gesehen. Ist sie etwa hier an Eurem Haus vorbeigekommen?« Mariannina Furno weiß nicht, was der Mann ihr sagen will, aber sie hat das Gefühl, plötzlich lauere eine Maus in ihrem Bauch. Gerade will sie ihm antworten, nein, Archina habe sich den ganzen Tag nicht blicken lassen, als Narduccio in den Hauseingang tritt. Er ist immer noch als Frau verkleidet, wie in der vergangenen Nacht, auch geschminkt ist er noch, doch sein Gesicht ist zerknittert, als hätte er schlecht geschlafen. Man merkt, dass er nur deshalb aufgestanden ist, weil er die Stimmen der beiden gehört hat. Marianna sagt zu ihm: »Liebling, du bist aufgestanden, geht es dir besser? Hier ist Solimene, der nach seiner Tochter sucht, und …« Doch Narduccio tut so, als hätte er sie gar nicht gehört, fällt ihr ins Wort und sagt, direkt an Nunzio gerichtet: »Was wollt Ihr hier?«
Und Nunzio: »Ich möchte mit Euch ein Gläschen Rosenlikör trinken, Compare Narduccio.«
»Dann nur herein«, antwortet der, ohne nachzudenken, und lässt ihn eintreten.
Marianna spürt, wie sich die Maus in ihren Eingeweiden bewegt. Sie wird einfach nicht schlau aus dem, was da gerade geschehen ist. Seit er in der vergangenen Nacht nach Hause gekommen ist, hat Narduccio kein einziges Wort mit ihr gewechselt. Ist er mit Archina zusammen gewesen? Aber wo, warum und wozu? Und was, zum Teufel, will jetzt Solimene ? Was ist passiert? Warum reden sie so, als wollten sie nicht, dass sie versteht, worum es geht?
Aus dem Inneren des Hauses hörte man Stühlerücken und das Klirren von Gläsern. Dazu erregte Wortfetzen, unverständlich.
Marianna hört, wie Narduccio etwas sagt wie: »Ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe, und ihr könnt mich nicht davon abhalten.« Dann folgt ein langes Schweigen, das nur vom Klirren der Gläser durchbrochen wird.
Als er nach wenigen Minuten wieder herauskommt, sagt Nunzio zu
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