Lass den Teufel tanzen
Einzige, die die ganze Zeit redete. Der Mann dagegen sagte nichts, kein einziges Wort. Er saß nur da, mit gesenktem Kopf, und rollte sich eine Zigarette. Ihn schien das Gespräch nicht im Geringsten zu interessieren, das doch, so Marianna, durchaus für ihn eine gewisse Bedeutung haben musste, denn immerhin drehte es sich um seine älteste Tochter. Seit jener ersten Begegnung hatte ihr der Mann nicht gefallen, obwohl sie damals aufgrund ihrer mitfühlenden Art durchaus bereit gewesen wäre, ihm wegen seines kürzlich erlittenen Verlustes mildernde Umstände zuzusprechen. Wenngleich … nein! Ein solches Verhalten unter diesen Umständen, von einem Vater … nein! Dieser Nunzio Solimene war einfach nicht zu packen, und Marianna erschauderte fast, wenn sie an ihn dachte. Später hatte sie auch tatsächlich wenig Erbauliches über ihn gehört, und obwohl sie eine Frau war, die nicht viel auf Klatsch gab, war sie doch wider Willen von der Geschichte beeindruckt gewesen, dass die Ehefrau in Procida nicht an den Folgen der zweiten Geburt gestorben war, sondern an dem tödlichen Schreck, als sie entdeckte, dass ihr Mann der Geliebte ihrer eigenen Schwester, noch dazu einer Nonne, war. Natürlich konnte Marianna nicht sagen, ob dieses Getuschel begründet war oder nicht, doch aufgrund des schlechten Eindrucks, den er bereits bei der ersten Begegnung auf sie gemacht hatte, hielt sie das alles durchaus für möglich.
Jedenfalls war Filomena an jenem Tag geblieben, um bei ihnen zu arbeiten, und war ihren Pflichten stets vorbildlich nachgekommen. Zu Beginn ließ Donna Marianna sie, weil
sie zwar von kräftiger Statur und fleißigem Wesen, aber eben doch noch fast ein Kind war, hauptsächlich im Garten arbeiten, wo sie die Blumen goss, oder in der Küche, wo Marianna ihr all die Leibspeisen von Narduccio beibrachte. Dennoch bezahlte sie sie, und zwar gut. Sie hatte schon bald erkannt, dass Filomena mit diesem Geld maßgeblich zum Unterhalt der Familie beitrug, einschließlich besagter Donna Aurelia, die bei ihnen wohnte. Als dann Archina schließlich laufen konnte und Filomena begonnen hatte, sie ins Haus ihrer Arbeitgeber mitzubringen, hatte Marianna auch sie bei sich aufgenommen. Sie trug ihr Pflichten auf, wie zum Beispiel die Wellensittiche zu füttern, oder sie ließ sie einfach nur spielen. So durfte sie mit Wachsmalkreiden auf weißem Papier malen, die Marianna extra für sie gekauft hatte. Auf diese Weise hatte sie es in all den Jahren geschafft, die beiden Mädchen so weit wie möglich dem Zugriff des Vaters zu entziehen, vor allem Archina, die nach Mariannas Meinung bei Weitem die Begabtere von beiden war. Sicher, es stimmte, dass sie einen unruhigen Charakter hatte, manchmal mürrisch und oft ungehorsam war. Als der Zeitpunkt kam, war es auch Marianna gewesen, die sie eigenhändig an der Grundschule einschrieb, was ihr von Nunzio Solimene keinerlei Einwände, aber auch keinen Dank eingetragen hatte. Und in den ersten Jahren hatte sich das Mädchen in der Schule gut gemacht. Die Lehrerin beklagte sich nur über ihr undiszipliniertes und häufig auch störrisches Verhalten. Ansonsten jedoch hatte Archina eine ganz eigene Intelligenz an den Tag gelegt, die es ihr ermöglichte, Dinge blitzschnell, viel schneller als die anderen Mädchen in ihrer Klasse, zu erfassen. Und so verbrachte sie den Großteil der Zeit, die ihr
blieb, damit, Papierflugzeuge zu bauen, auf dem Flur herumzuwetzen oder sich mit anderen Kindern zu prügeln. Streitigkeiten, die, wie die Lehrerin Marianna berichtete, wann immer Marianna selbst sie von der Schule abholte, meistens von Archina angefangen wurden. Als die Lehrerin einmal gefragt hatte: »Und der Vater?«, hatte Marianna ihr keine Antwort gegeben, sondern das Mädchen einfach nur an der Hand genommen und weggeführt. Der Vater, so hätte sie gerne geantwortet, sei an diesem Thema nicht im Geringsten interessiert.
In den letzten Jahren hatten sich die Dinge jedoch verändert. Archina hatte sich verändert. Als sie etwa acht Jahre war und in die dritte Klasse der Grundschule ging, hatten sich ihre Leistungen auffallend verschlechtert. Ja, oft wollte sie gar nicht mehr hingehen. Irgendwann hatte sie auch noch einen schweren Husten bekommen, der nicht mehr wegging. Einen trockenen Husten, der wie ein Bellen klang. Marianna bekam es mit der Angst zu tun, wenn das Mädchen einen dieser Anfälle hatte, weil sie dann befürchtete, Archina könne von einem Moment zum nächsten daran zugrunde gehen.
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