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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa De Sio
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sieht man. Ganz eingefallen ist es, mit diesen runden Augen, wie auch Filomena sie hat, aber deine sind halb offen und halb geschlossen, und die Pupillen sind weggedreht. Dieser Trichter, den du im Mund hast, ist mit einem Schlauch verbunden, der an einer Art Wasserpumpe hängt, die auf und ab wandert. Wenn sie hochsteigt, dann schaffst du es, und wenn sie sinkt, dann stirbst du. Es ist wie Musik, dieser Kolben, der rauf und runter geht, rauf, runter, pff, pff. Pizzicarella, mia pizzicarella … Wie geht doch gleich dieses Lied? Erinnerst du dich daran, Papa? Und du, Angelo Santo … Komm ruhig näher mit deinem Rollstuhl, du alter Scheißkerl! Komm nur näher und spiel uns was auf der Gitarre, siehst du, dass Nunzio es hören will? Spiel! Pizzicarella, mia pizzicarella … Wenn du gehst, ist es, als würdest du tanzen, so heißt es in dem Lied. Erinnerst du dich, Papa? Und mich, mich hast du auf die Welt gebracht, damit ich tanze, und ich hab getanzt, aber diese Musik hat dir nicht gefallen. Hast du ein schlechtes Gewissen gehabt? Oder hattest du einfach Lust zu ficken?
    Papa, schau mich an! Schau mich an, bin ich schön? Bin ich hässlich? Bin ich blöd? Willst du mich anlangen, willst du mich ficken? O ja, ich hab begriffen, wofür sie gut sind, diese schönen Schenkel, die ich hab, denn ich bin mit ihnen ganz schnell weggelaufen, so weit es nur ging, weit, weit
weg von dir, weg von deinem Herrn, diesem Scheißkerl, der auch mein Herr war, und weg von all diesem Elend. Und meine Schwester Filomena, die nie den Mumm hatte … Als sie noch reden konnte, hat sie gesagt, das sei das Elend derer, die nichts wissen, die nichts kennen, all der Menschen, die sich von der Last der Dinge zu Boden drücken lassen. Sie war die Einzige, Filomena, die ich mit den Augen um Hilfe gebeten habe, aber sagen konnte ich einfach nichts, ich konnte nicht! Dabei hätte sie, die die Ältere war, es doch merken müssen, wenn sie mich fragte: »Was hast du denn? Red schon!« Aber ich, was hätte ich schon reden können? Du warst heilig für sie. Und diese Sache, die konnte einfach nicht sein, die durfte nicht sein … Diese Sache, die ganz langsam unser ganzes Haus aufgefressen hat, Papa, Tag für Tag, meinen Körper, meine Seele, die Augen eines jeden, der uns anschaute. Diese dunkle Sache, die niemand aussprechen konnte, wie ein tiefer Brunnen, den jemand mitten in unserem Haus gegraben hatte, und alle mussten um ihn herumgehen und so tun, als wäre er gar nicht da. Und doch war er da, dieser finstere, tiefe Brunnen, und je mehr wir so taten, als wäre er nicht da, desto größer wurde er, immer tiefer und dunkler und fauliger wurde er, und er sog jeden Gedanken in sich hinein, jede Geste, mit einem dumpfen Geräusch, Nacht und Tag, Tag und Nacht. Und alles verschlang er, wie ein knurrender Hund, jeden Tag ein Stückchen Leben mehr, was man gar nicht merkte, weil es immer nur ein bisschen war, so lange, bis dieser Schlund alles in sich hineingesogen hatte. Alles – einen sonnigen Morgen, die Erinnerung an Mamas Gesicht, das ich ja nie wirklich gesehen hatte, nur auf einem Foto, auf dem sie ein bisschen lächelte
und ein bisschen bedrückt aussah, als würde sie irgendeinen Kummer in sich reinfressen. Das alles sog der Brunnen in sich auf, und alles verschwand in ihm für immer. Manchmal schien es mir jedoch, dass diese gewaltige Sache, die so finster und unsagbar unter uns lebte, wie ein riesiger Walfisch war, der von einem Ungeheuer aus der Urzeit mitten in unserer Küche zur Welt gebracht worden war und jetzt dort saß und alles verschlang, was lebte oder zumindest noch ein wenig am Leben war. Als ich neun Jahre alt war, hatte er mir bereits die Schulhefte aufgefressen, meine Buntstifte, zwei Hemdchen mit aufgestickten Blumen, das Gesicht von Donna Aurelia, die mich gernhatte, aber das, was mit mir vorging, weder begreifen konnte noch wollte. Und dann fraß der Walfisch auch noch die Erinnerungen auf. Die Erinnerung an jene wunderschöne Reise, die wir einmal nach Neapel unternommen hatten, um meine Tante Addolorata zu besuchen. Und Severino, der bei ihr im Kloster lebte. Auch die war mir weggefressen worden, auch die war in dem ekelhaften Leib des Walfischs gelandet. Severino, der mich mitten in der Hühnerkacke umarmte, mitten in all den Federn, und dann rollten wir herum und blieben schließlich liegen, um uns die weißen Wolken am blauen Himmel anzuschauen, und in all den Wolkengebilden konnte ich immer nur eins entdecken: ein

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