Lass den Teufel tanzen
dich bei mir und bei deinem Sohn Severino einzuschleimen? Nein! Ich hasse dich. Ganz so, wie ich auch den anderen hasse, meinen Vater. Ich hasse dich so sehr, wie wenn der Vesuv ausbricht und alle Menschen unter Steinen begräbt, oder wenn aus Messina ein Erdbeben kommt und das Meer auf dreißig Meter anschwillt und alles mit sich reißt, die Häuser, die Christenmenschen, die Bäume und alles. Und ich hasse dich auch wie einen alten Tümpel, der nicht mehr plätschert, aber ganz allmählich ansteigt, aber du merkst es nicht, und dann ist es zu spät, weil er nicht nur um dich herum gestiegen ist, sondern auch in dir drin, und dann bist du ganz voller Algen und Frösche und fauligem Schlick, und alle weichen vor dir zurück, weil du schon stinkst wie eine aufgedunsene Wasserleiche. Und die Leute wenden sich ab, wenn einer stinkt, o ja!
Aber er ist ja tot! Wie schön war es in diesem Hof, immer schön war es, mit all den Olivenbäumen und in der Mitte dem Brunnen. Das war das einzig Gute hier, das Wasser aus diesem Brunnen, so frisch, immer wenn es vorbei war … wenn ich endlich hierherkonnte, an diesen Brunnen, und mich mit dieser Kernseife waschen konnte, die so duftet und bei der sich alles gleich besser anfühlt, als es ist. Aber das war gar kein Waschen, nein, ich war die Mutter, und mein Körper war das Kind; ich weiß nicht, wie ich das anders sagen soll. Ich war die rettende Mutter, und ich drückte und wusch und streichelte mein totes Kind, und ich badete es in diesem Brunnen, damit es wieder rein ist, vor Gott und vor der Welt. Aber dann hat es ihn auch erwischt, den Alten. Und jetzt sind sie beide tot, auch mein Vater, und ich bin frei. Und sein Leid hat ein Ende.
Es war gestern Abend, um halb sieben, beim Schichtwechsel im Krankenhaus, als dein Leid ein Ende hatte. Im Krankenzimmer war nur dein Bett belegt. Ich bin ins Zimmer gekommen, und du hast mich gesehen, mit diesem Schlauch in der Nase, der mit all den Maschinen verbunden war, und hast ausgesehen wie ein Marsmensch. Und du hast mit den Augen gerollt, hast mich angeschaut, und ich hab gesehen, dass du Angst hast.
Wie war das, Papa? Wie ist es denn so, wenn man Angst hat, ist es schlimm? Vater.
Du wusstest, dass dein Tod nicht mehr fern war, du wusstest es, seit es dir immer schlechter ging, aber niemals hättest du dir gedacht, dass du ausgerechnet gestern Abend dem Tod ins Gesicht blicken würdest, dass er von so weit her zu
dir kommen würde, aus Procida, und auf meinen Beinen laufen würde. Siebzehn Jahre! Nicht einmal bist du nach Procida gekommen … Und du hast auch gut daran getan! Denn wer hätte dich sehen wollen? Aber kaum war ich in dieses Krankenzimmer getreten, da wusstest du, dass ich nicht gekommen war, um mir eine Zärtlichkeit abzuholen oder dir das Bett abzuziehen, in das du gerade gemacht hattest. Nein, du hast mich angeschaut und gleich auch die anderen gesehen, die ich ins Krankenhaus mitgebracht hatte, gestern Abend um halb sieben, in dein leeres Krankenzimmer. Du hast Mama gesehen, du hast Addolorata gesehen, und Narduccio, meinen schönen Narduccio! Ja, der hat mich gerngehabt und hätte mich retten können, aber sich selbst konnte er nicht retten! Und auch diesen alten Scheißkerl hast du hereinkommen sehen, der ebenso tot ist wie sein Rollstuhl. Und da hast du Angst gekriegt.
Ich bin aus Procida gekommen, bin aus dem Bus gestiegen und hab einen nach dem anderen abgeholt, Erinnerung um Erinnerung, und keiner von ihnen hatte etwas dagegen einzuwenden. Tante Addolorata ist extra aus Neapel gekommen, um dabei zu sein. Da wollte keiner unter der Erde bleiben, nein, da konnten sie noch so mausetot sein, wie es Tote eben sind – als sie begriffen haben, was ich vorhatte und wohin ich sie bringen wollte, sind sie gleich auferstanden. Und du hast sie gesehen, Papa, als sie zusammen mit mir eingetreten sind, im grauen Dämmerlicht des Abends um halb sieben, dem Licht des Albtraums, du hast sie gesehen und Angst gekriegt.
Ich hab mich ans Fußende des Bettes gesetzt. Mit den Händen habe ich das blaue Leintuch ganz glatt gestrichen und
die Überdecke mit den weißen und blauen Streifen. Alles immer ordentlich und sauber. So muss es sein. Auch während ich mich setzte, habe ich darauf geachtet, nichts zu zerknittern, nicht die geringste Unordnung zu machen. Dein Körper, dort im Bett, fiel gar nicht weiter auf. Ach, so klein bist du geworden, Papa? Man sieht gar nicht mehr die Beine unter dem Bettlaken. Das Gesicht ja, das
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