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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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Mittel erweist, den jeweils eigenen Umgang mit Sexualität und : Moral zu definieren«, so beschreibt auch Juanita Henning ihre jahrelangen Erfahrungen als Sozialarbeiterin im Frankfurter Projekt Dona Carmen und vermutet dahinter eine »Gesellschaft, die ihren Umgang mit Sexualität traditionell über die Ausgrenzung ganzer gesellschaftlicher Gruppen regelte«.198 Anstatt die Vielgestaltigkeit der Sexarbeit anzuerkennen, postulieren die Ausgrenzer einen unveränder- : liehen inneren Kern, eine Wesenhaftigkeit der Prostitution. Sie behaupten: Alle Sexarbeiterinnen prostituieren sich aus persönlichen, sozialen oder finanziellen Zwangslagen, verkaufen mit ihren Körpern gleichzeitig ihr Selbst, nehmen durch die Prostitution psychischen Schaden und verlieren automatisch ihre Menschenwürde. Der Grad der Freiwilligkeit, die Dienstleistungsform, das persönliche und räumliche Umfeld, der Kundenkreis und die konkrete Beziehung zum Kunden werden heruntergespielt oder ignoriert.
    Daß nicht alle Frauen aus Notlagen heraus in die Sexarbeit einsteigen, ist lange bekannt. Daß sie mit ihren Körpern gleichzeitig ihr Selbst verkaufen, ist ein Dogma (und keine Tatsache), das sich psychologisch und philosophisch leicht entkräften läßt. Aber wie sieht es mit der Menschenwürde aus? Läßt sich dieser Begriff so locker im Sinne der Moralisten vereinnahmen? Hat er sich nicht gerade für die Realität der Sexarbeit als kontraproduktiv erwiesen? Es war ja genau die vom Gedanken der Menschenwürde inspirierte Argumentation der Unsittlichkeit, die die Frauen jahrzehntelang juristisch und sozial benachteiligte, ihnen weder Rechtssicherheit noch soziale Absicherung gewährte. Hat die Erfahrung nicht gezeigt, daß Frauen, die der Prostitution nachgehen wollen, dies immer, selbst unter widrigsten Bedingungen, getan haben und tun? Wer die Menschenwürde von Prostituierten meint auch gegen ihren Willen schützen zu müssen, vergreift sich nicht nur an ihrer Freiheit zur Selbstbestimmung, sondern macht ihnen das Leben unnötig schwer, indem er ihre rechtliche und soziale Benachteiligung zementiert.
    Die philosophischen Implikationen der Gleichung »Sex gegen Geld
    = Würdeverlust« beschäftigte auch das Berliner Verwaltungsgericht bei seiner Urteilsfindung in Sachen Bezirksamt Wilmersdorf gegen das Cafe Pssst!. »Es gibt keine staatliche Verpflichtung des Menschen zum ›richtigen‹ Menschsein«, heißt es in der Urteilsbegründung,
    »Menschenwürde ist vielmehr auch dann vorhanden, wenn der konkrete Mensch die Möglichkeit freier Selbstgestaltung zur Selbsterniedrigung mißbraucht. Denn solch ›unwürdiges‹ Verhalten ist als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit gewährleistet und staatlicherseits als erlaubt hinzunehmen, soweit dieses Verhalten nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Der Schutz der Menschenwürde kann sich also nicht gegen die dann mitgeschützte Freiheit der Selbstbestimmung richten, und die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde darf nicht dazu mißbraucht werden, den einzelnen durch einen Eingriff in die individuelle Selbstbestimmung gleichsam vor sich selbst zu schützen.«199
    Weder die gesellschaftliche Debatte um selbstbestimmte Prostitution noch die Verabschiedung des Gleichstellungsgesetzes haben die konservativen Kritiker motivieren können, ihre moralischen Bedenken wenn schon nicht in Frage zu stellen, so doch wenigstens zu differenzieren. Für sie bleibt die Sexarbeit trotz der neuen Realitäten sittenwidrig, ihre Argumente signalisieren neben Unkenntnis der Materie eine idealisierte Welt mit scheinbar unveränderlichen Werten.
    »Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit ist ein falsches Signal«, so kommentierte die CSU-Abgeordnete Maria Eichhorn das neue Gesetz.
    »Der Gesetzgeber darf grundlegende Wertvorstellungen nicht leichtfertig preisgeben. Prostitution zerstört die Persönlichkeit. Sie schädigt Körper und Seele. Der Kauf einer sexuellen Dienstleistung, die den Körper zu einer Ware degradiert, ist moralisch fragwürdig. Sie widerspricht der menschlichen Würde. Aus diesen Gründen ist und bleibt die Prostitution sittenwidrig.«200 Norbert Geis, der rechts-politische Sprecher der Unionsfraktion, wandte sich gegen eine Abkehr vom Begriff der Sittenwidrigkeit mit dem Argument: Man müsse sich nur vor Augen führen, wie entsetzt und verzweifelt Eltern reagierten, deren Kind in die Prostitution

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