Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
dem Thema Sexarbeit inhaltlich auseinanderzusetzen, wissen Journalisten, die sich Zeit für die Recherche nehmen, oft viel mehr als wir. Hinzu kommt, daß in unserem Team Frauen dominieren, die die Sexarbeit pauschal kritisieren. Ich muß mich ständig an zwei Fronten gleichzeitig verteidigen: einmal gegenüber denen, die die Prostitution ohnehin verachten, aber auch gegenüber meinen Kolleginnen, die mir vorwerfen, daß ich mit meinem Schwerpunkt auf erotische Massagen und erotischen Tanz die Sexarbeit irgendwie durch eine rosarote Brille betrachte. Dabei soll es in unserem Projekt eigentlich darum gehen, die Sexarbeit gesellschaftlich aufzuwerten. Es kommt mir so vor, als frißt die Revolution ihre eigenen Kinder.
Projekte, Streetworker und NGOs
Doch die Medien trifft nur ein Teil der Verantwortung. Immerhin sind sie mangels echter Szenenähe weitgehend auf das Material angewiesen, das Beratungsstellen, Projekte oder NGOs ihnen zuliefern. Mit den düsteren Seiten des Business konfrontiert, vermitteln deren Mitarbeiter oft ein ebenso morbides Bild von der Welt des käuf lichen Sex. Beratungsbedarf setzt Probleme voraus, und anders als Frauenhandelsopfer oder Beschaffungsprostituierte haben
»happy hookers« keine Lobby. »Die Beratungsstelle in meiner Region ist für Frauen, die aussteigen wollen, Drogenprobleme haben oder Sozialhilfe beantragen wollen«, so Julia, »und nicht für Frauen wir mich, die sagen, wir leben ja eigentlich ganz gut und hätten vielleicht einfach nur gern einen Ort, wo man sich mit Kolleginnen austauschen oder fortbilden kann.«
Was die Projekte und NGOs Journalisten, Wissenschaftlern und einer interessierten Öffentlichkeit an Erkenntnissen verkaufen, dient vor allem ihrem Selbsterhalt. Schließlieh verdanken sie ihre Existenz einem gesellschaftlichen Problem, und wenn sich das in Luft auflöst, stehen sie selbst vor einem Legitimationsproblem. Der Opferstatus ihrer Klientinnen legitimiert die Notwendigkeit der von staatlichen Sparzwängen bedrohten Projekte, sichert öffentliche Sympathien und Spendengelder und damit ihre Existenz. Die Welt der Projekte unterscheidet sich nur graduell von der Welt ihrer Klientinnen: Auch sie bewegen sich auf einem Markt, und wollen sie sich nicht überflüssig machen, müssen ihre Argumentationen dem Selbsterhalt dienen.
Dieses Dilemma produziert nicht selten mehr Bigotterie als Wahrheit. Wer bei Sexarbeitsprojekten anruft, bekommt selbst auf einfache Sachfragen selten Spontanauskünfte, sondern Rückrufe mit Antworten, die zuvor im Team diskutiert und abgesprochen wurden -
Informationspolitik in eigener Sache und mit gefilterten Fakten. Die Klientinnen, um die es ja letztlich geht, kommen selten selbst zu Wort.
Beispiel Frauenhandelsopfer: Angeblich um sie durch die Fragen neugieriger Journalisten nicht zu retraumatisieren, schirmen diverse Projekte ausländische Sexarbeiterinnen konsequent von den Medien ab. Und da viele Journalisten auf den Wahrheitsgehalt sekundärer Quellen vertrauen, zumal diese sich als Instanz politischer Korrektheit profilieren, wirkt die Informationspolitik der Beratungsstellen, Projekte und NGOs selbst dann noch meinungsbildend, wenn Insider aus der Projekteszene diese Mechanismen längst selbst kritisieren.
Klischeehaft dargestellt und verallgemeinernd
dramatisiert: Elvira Niesner, Sozialwissenschaftlerin Die NGOs befinden sich mit der Darstellung ihrer Arbeit und der Situation ihrer Klientinnen in einer schizophrenen Situation: Die heterogene Lebenssituation der Frauen wird homogenisiert. Die NGOs kennen durch ihren Praxisbezug die vielfältigen Lebensentwürfe und
-bedingungen sowie
Handlungsstrategien und - motive der Frauen. Um Aufmerksamkeit zu gewinnen und um politisches Handeln angesichts der gegebenen Medienstruktur - geprägt von Informations-
überfluß und Sensationsgier - zu provozieren, wird eine einseitige, vereinfachte Darstellung der Situation der Frauen favorisiert. Das Wissen der NGOs um die vielfältigen Lebensbedingungen der Frauen wird nicht bzw. nur verhalten nach außen transportiert. Auf Kosten einer differenzierten Darstellung der Lebenssituation der Frauen wird der Kampf der NGOs um Einfluß und Anerkennung in der (Halb-
Öffentlichkeit geführt. Die verschiedenen Lebenslagen werden oft, entgegen eigenen Praxiserfahrungen, in der Öffentlichkeits-und Lobbyarbeit stereotypisierend und klischeehaft dargestellt und verallgemeinernd dramatisiert.195
Wissenschaft und
Weitere Kostenlose Bücher