Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
geschehen, wenn wir zugaben, daß wir illegal in Deutschland arbeiteten? Die Beamten erklärten uns, daß wir nicht gezwungen seien auszusagen. Sollten wir uns trotzdem zu einer Aussage durchringen können, würden wir eine Duldung erhalten und könnten bis zum Prozeßende in Deutschland bleiben. Ich glaube, Elena und ich waren einfach zu unglücklich mit dem Leben, das wir führten, um unseren Chef zu schützen. Also entschlossen wir uns, gegen ihn auszusagen.
Inzwischen leben wir als »Opferzeuginnen« in einer anonymen Zufluchtswohnung und warten auf den Prozeß. Es hat zwei, drei Monate gedauert, bis wir zur Ruhe kamen und uns überlegen konnten, wie es weitergehen soll. Ich mache mir weniger Gedanken um das, was geschehen ist, als um die Zukunft. Was wird passieren, wenn ich nach Hause komme? Ist meine Familie in Gefahr? Wissen sie, welche Art von Arbeit ich gemacht habe? Wie werden sie mich aufnehmen? Wenn wir nicht über die Zukunft nachdenken, haben wir Gruppengespräche oder Computer-und Englisch-unterricht. Einige von uns lernen Deutsch, obwohl wir wissen, daß wir bald in unsere Heimat zurück müssen. Wir dürfen noch nicht mal ein unbezahltes Praktikum oder eine Ausbildung machen und natürlich erst recht nicht arbeiten.
Manchmal gehen wir ins Schwimmbad oder ins Kino oder fahren im Bus durch die Stadt. Als wir noch im Club arbeiteten, wußten wir nicht mal, wie die U-Bahn funktioniert, und einen Supermarkt haben wir auch nie von innen gesehen. Im Monat lebe ich von 180 DM. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, davon noch etwas zu sparen und nach Hause zu schicken.
Wenn ich in meine Heimat zurückkehre, werde ich versuchen, mein Studium zu Ende zu bringen. Vielleicht kann ich auch mit meinen deutschen Sprachkenntnissen etwas anfangen. Meine Freundin Elena hat vor kurzem einen Deutschen kennengelernt. Jetzt ist sie schwanger. Ob der Mann sich zu dem Kind bekennt und sie heiratet, steht in den Sternen. Falls ja, so könnte sie in Deutschland bleiben.
Glückliche Elena! Das Leben in Deutschland ist und bleibt besser als in der Ukraine. Nur auf dem Sozialamt fühlten wir uns gedemütigt. Dort wurde sie gefragt, ob sie in der Ukraine davon gehört hatte, daß es in Deutschland Sozialhilfe gibt.
Nein, das wußte sie nicht. Sie wußte nur, daß es in Deutschland Männer gibt, die für eine halbe Stunde Sex mehr bezahlen, als sie in einem Monat als Näherin in der Fabrik verdient.
Klischee Nr. 64:
Sexmigrantinnen werden zur Sexarbeit überlistet und gezwungen.
Für das Kartell der Gutmenschen sind die illegalen Sexmigrantinnen ein Geschenk des Himmels. Von allen Opferszenarien, die sie entwerfen, scheint ihre Situation am geeignetsten, um den Negativ-Hype in Sachen Prostitution mit abschreckenden Inhalten, moralisierender Panikmache und emotional aufgeladenen Schlagworten wie Zwangsprostitution und Frauenhandel zu bedienen.
Besonders die feministisch inspirierte Beratungsfront läuft hier zu Hochform auf und verzerrt mit ihren simplen Täter-Opfer-Klischees nicht nur die Realitäten des Frauenhandels, sondern redet ihren Klientinnen einen Teil ihrer Probleme regelrecht ein und drängt ihnen damit ungefragt ihr eigenes sexualpessimistisches Weltbild auf.
Die mit quälender, dogmatischer Starrhalsigkeit geführten Debatten kreisen ebenso wie die Medienberichterstattung um das Schlagwort Zwangsprostitution. Nimmt man den Begriff genauer unter die Lupe, so tut sich eine Riesenkluft zwischen Schein und Sein, Medienbildern und Realität auf. Während Expertinnen den Anteil der Migrantinnen, die unter Zwang oder Vortäuschung falscher Tatsachen in die Sexarbeit einsteigen, eher als Randphänomen bewerten, wird die Zwangsprostitution von den Medien mit tatkräftiger Unterstützung einiger Lobbyisten so aufgebauscht, daß zwangsläufig der Eindruck entsteht, jede osteuropäische Sexmigrantin würde gegen ihren Willen von einem Mafia -Russen nach Deutschland verschleppt. Projekte vor Ort hingegen schätzen die Motivationslage der Frauen differenzierter ein. »Etwa zwei Drittel der Frauen hat sich mit der Prostitution vorher auseinandergesetzt und sagt sich, gut, ich werde in diesem Business arbeiten und ich weiß, was ich zu erwarten habe«, so die Sprecherin eines Frauenhandelsprojekts in Warschau. In den meisten Fällen handelt es sich bei den ausländischen Sexmigrantmnen also weder um geraubte noch gegen ihren Willen verschleppte Sexsklavinnen. »Unser Projekt ›European Projects for Aids
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