Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Abschottungspolitik praktisch selbst in den Fuß und beweist nicht etwa Stärke, sondern eine Ignoranz gegenüber globalen ökonomischen Dynamiken. Auch viele deutsche Projekte fordern daher seit langem eine Green Card für Sexmigrantinnen.
Für diese Forderung spricht auch, daß die problematischen Seiten des Frauenhandels durch die bestehende Gesetzeslage alles andere als wirksam bekämpft werden. Das deutsche Strafrecht beißt sich an der Komplexität des globalisierten Deliktes »Menschenhandel« nicht nur formaljuristisch die Zähne aus. Erfolgreiche Verschleppungstaktiken der Verteidiger führen zur Zermürbung der Opferzeuginnen und zu Freisprüchen nach jahrelanger, zäher Verhandlungsdauer. Deutsche Gerichte verpulvern Steuergelder mit Reisen nach Osteuropa, um Zeuginnen zu vernehmen, die aus Angst vor Repressalien nicht erscheinen. »Man denkt, man hat die Thematik im Griff, wenn man sagt, man will Opferschutz und Strafverfolgung«, so Frauenhandelsexpertin Elvira Niesner. »Wenn man sich die niedrigen Strafhöhen ansieht, wenn Verurteilungen zustande kommen, kann man das, was da läuft, nicht gerade Abschreckung nennen. Außerdem geht es von der Motivationslage der Frauen her in erster Linie um Arbeitsmigration.«
Und Arbeit bedeutet nicht nur Sexarbeit. Inzwischen arbeitet die Mehrheit der NGOs und Beratungsstellen mit einer breiten Definition des Frauenhandels, die auch die Phillipinin, die an einen heiratswilligen bayerischen Landwirt vermittelt wurde, oder die in einem Berliner Restaurant gestrandete Küchenhilfe aus Ghana als Frauenhandelsopfer sieht. In welchem Bereich die Migrantinnen ihr Glück oder ein bescheidenes Einkommen suchen, sagt in der Tat wenig aus über das Maß an wie auch immer gearteter Ausbeutung, das sie auf ihrer Odyssee erleben. Ob eine Definition von Frauenhandel, die den informellen Arbeitsmarkt, den Heirats-und Prostitutionsmarkt in einen Topf wirft, politisch sinnvoll ist, darüber läßt sich streiten.
Macht es Sinn, das Strafrecht zu bemühen, weil jemand statt 1000 nur 500 Mark verdient? »Wenn man am Strafrecht ansetzt, bringt das den Leuten gar nichts«, so Elvira Niesner. »Da heißt es dann, die Personen sind Opfer, also fliegen sie hier raus. Es geht aber darum, wie man diesen großen und zum Teil gesellschaftlich notwendigen informellen Arbeitsmarkt in eine Form bringen kann, die die Betroffenen nicht ausbeutbar macht. Es geht um eine Legalisierungsdiskussion und menschengerechte Arbeitsstandards.«
Während die Menschenrechte der Frauen, um deren Schutz es eigentlich zentral gehen sollte, hinter nationalstaatliche Interessen zurücktreten, spaltet und lähmt der Begriff Frauenhandel die Szene der Aktivistinnen, die ihre Energien in fundamentalistischen Grabenkämpfen über Definitionen verpulvern. »Warum also verabschiedet sich die feministische Projekte-Szene nicht ganz vom Begriff des Frauenhandels?« fragt eine Kennerin der Szene in der Jungle World. »Dagegen spricht vor allem, daß sie mit diesem Thema noch am ehesten an staatliche Finanzierungen kommt. Viele Frauen-NGO haben sich früher einmal wegen der politischen Konjunktur des Themas auf extreme Menschenrechtsverletzungen in der Sexarbeit spezialisiert; heute geht es nicht wenigen um Selbsterhaltung.« Das macht die Diskussion nicht überflüssig: Legalisierung und würdige Arbeitsstandards sind die Voraussetzung, um »Illegale« in die selbstbestimmten Segmente des deutschen Sexarbeitsmarkts zu integrieren. Denn unter den derzeitigen Bedingungen des Ausländerrechts haben deutsche Bordellbetreiberinnen wenig Ambitionen, ins Visier der Polizei zu geraten - oder ins Visier der Mafia.
Keine Lust auf Illegale: Annika
Mit der düsteren Seite des Milieus hatte ich lange Zeit keine Berührung. Ich lebte in meinem Elfenbeinturm, und der Rest der Welt kam ab und zu aus Erzählungen an mich heran.
Richtig mitbekommen habe ich den ganzen Schrecken erst, als ich meinen zweiten Laden eröffnete und eine Suchanzeige aufgab. Da hatte ich das Gefühl, mich packt eine kalte Hand an. Es kamen Anrufe von Frauen, die fragten ganz lieb und beflissen, wie die Konditionen sind und wo sich mein Laden befindet, und plötzlich drückte jemand auf die Gabel. Durch mein Inserat kamen Frauen ins Haus, die vorher in Läden mit Illegalen gearbeitet hatten und viel aus dieser düsteren Welt erzählten.
Es blieb nicht aus, daß ich mich erweichen ließ und eine dieser osteuropäischen Frauen bei uns anfing zu
Weitere Kostenlose Bücher