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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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landen, schätzen Insider und Frauenhandelsexpertinnen, daß viele bei Razzien aufgegriffene j Osteuropäerinnen aus Scham und Angst vor sofortiger Ausweisung aussagen, zur Prostitution gezwungen worden zu sein. An repressive Rechts-und Polizeisysteme in den patriarchalen Kulturen Osteuropas gewöhnt, flüchten die Frauen in die Opferrolle, obwohl sie aus eigenem Antrieb in die Prostitution emigrie rten. Ihre der eigenen moralischen Entlastung dienenden Argumentationen gehen aber als Straftatbestände in die jährliche Frauenhandelsstatistik des BKA ein, die jedesmal ein breites Medienecho findet und unsere Wahrnehmung einer Thematik prägt, die nach Experteneinschätzung sehr viel mehr mit ökonomischer Benachteiligung als mit Zwang zu tun hat.
    Ebenso wie die Sexarbeit ist auch der Frauenhandel ein weites Feld, was nicht zuletzt die pauschale Stigmatisierung von Frauenhändlern in Frage stellen muß. Nach Ansicht von Frauenhandelsexpertinnen wie Juanita Henning oder Elvira Niesner sind weit weniger als 50% der ausländischen Sexarbeiterinnen Menschenhandelsopfer im Sinne des Strafrechts, d. h. im Zusammenhang mit Zwang, Nötigung und sexualisierter Gewalt. Mehr als die Hälfte der Frauen gelangen also durch informelle Netzwerke nach Deutschland. »Man kann aber eine Kolumbianerin, die ihrer Cousine dazu verhilft, eine Zeitlang in der Prostitution zu arbeiten, nicht mit einem osteuropäischen Schlepper vergleichen«, meint Elvira Niesner. Der Handel mit osteuropäischen Frauen läuft tendenziell brutaler als zum Beispiel der Handel von Thailänderinnen oder Latmas. Von allen Ausländerinnen arbeiten Frauen aus Lateinamerika nach Experteneinschätzung am freiesten.
    Sie verstehen sich als Pendlermigrantinnen und bewegen sich in informellen Netzwerken: Ein paar Monate im Jahr arbeiten sie in Deutschland, dann kommt eine Freundin und besetzt ihren Platz im Bordellzimmer, während sie für eine gewisse Zeit in ihre Heimat zurückkehren. »94% der Pendlermigration läuft über Frauen, die schon in Deutschland arbeiten«, meint auch die Sozialarbeitenn Juanita Henning vom Projekt Dona Carmen, die vor allem die Situation kolumbianischer Sexarbeiterinnen untersucht hat.217 »Sie pendeln zwischen Deutschland und ihren Heimatländern, denken und handeln global. Sie holen ihre Cousinen und Freundinnen ins Land.
    Aber der Menschenhandelsparagraph bestraft jeden, der Frauen hierher holt, egal, ob sie zustimmen oder nicht.« Die Diskrepanz zwischen Medienklischees und Realität zeigt: Die Vorstellung, daß ein osteuropäischer Mafiamann eine Frau zur Prostitution zwingt, ist offenbar medientauglicher als die Tatsache, daß Frauen aus der Dritten Welt eine Infrastruktur für eine Art umgekehrten Sextourismus geschaffen haben. Was nicht thematisiert wird, ist die beiderseitige Nachfrage nach Sexarbeit. Und die führt dazu, daß Angebot und Nachfrage selbst unter den widrigen Bedingungen der Illegalität zueinanderfinden.
    Fest steht: Ohne legale Wege der Einreise und Arbeitsaufnahme sind die Frauen auf Vermittler angewiesen. Die Frauenhändler besetzen einen Raum zwischen der Nachfrage und der Abschottung des Staates gegen Migranten. Und wie in jeder Monopolstellung sind es die Monopolisten, die die Gesetze diktieren. »Je mehr durch migra-tionsbekämpfende Maßnahmen die eigene Durchführung der Einreise durch die Frau erschwert wird, um so abhängiger wird die Frau von Händlerstrukturen«, so der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozeß. »Je rechtloser ihre Stellung in Deutschland ist, um so weniger wird die Frau die Kraft finden, aus den Händlerstrukturen auszusteigen.«218 Die amerikanische Soziologin Wendy Chapkis geht noch einen Schritt weiter und richtet scharfe Worte der Kritik gegen die feministische Anti-Frauenhandelsrhetorik, die Zwangsprostitution und Schuld-knechtschaftssysteme mit repressiven Maßnahmen bekämpfen will, aber, so Chapkis, »eine Selbstorganisation der Illegalen verhindert, indem sie die Frauen als passive, unschuldige Opfer darstellt«. Ihre Forschungen zum internationalen Frauenhandel kamen zu ganz anderen Ergebnissen: Der mißbräuchliche Frauenhandel läßt sich viel effektiver bekämpfen, indem man den freiw illigen Frauenhandel entkriminalisiert und von seinem Stigma befreit.219 Indem er fördert, was er zu bekämpfen vorgibt, schießt sich der deutsche Staat mit dem pauschalen Feindbild »Frauenhändler« und seiner repressiven

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