Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
unterschiedliche Persönlichkeiten, Kleidungsstile und Altersstufen. Die für devote Kunden zentrale Bedeutung der Mutter führt jedoch oft zu einer stärkeren Nachfrage nach älteren Frauen als in anderen Sexarbeitssegmenten. Auf St. Pauli galt das Domina-Wesen seit langem als Alterssicherung für Huren. In der geordneten Welt des Hamburger Rotlichtmilieus galt der Grundsatz: »Stiefel darf eine Frau erst ab 35 anziehen.« Doch erotische Kompetenzen sind nicht nur im Bereich sogenannt bizarrer Praktiken gefragt. Ein ehemaliges Callgirl einer amerikanischen Top-Escort-Agentur berichtet: Den männlichen Körper kontrollieren:
Anonymes Callgirl
Was boten wir unseren Kunden? Den besten vaginalen und Oralsex. Klar, das hört sich großspurig an, aber wenn wir Agenturkolleginnen unsere Erfahrungen austauschten, stellten wir fest, daß jede von uns ungefragt Komplimente von Kunden erhalten hatte, die darauf hinausliefen, daß sie mit ihnen den besten Sex ihres Lebens hatten. Der Umstand, daß uns fast alle Kunden über Jahre hinweg die Treue hielten, spricht für sich. Aber wie konnten aus uns solc h fabelhafte Sexualathletinnen werden? Auf dieselbe Weise, wie andere Menschen ihre persönlichen Stärken entwickeln: eine Mischung aus Naturbegabung, mentalem und
physischem Training und Übung. Anfängerinnen, die sexuell erfahren waren und den strengen Selektionsprozeß der Agentur durchlaufen hatten, wurden nicht als »fertiges Produkt« betrachtet, sondern von den Agenturchefinnen, die ja selber einmal Top-Callgirls waren, kontinuierI ich weitergebildet. Dabei wurden wir weder in dunkle Geheimnisse eingewiesen, noch lernten wir das Kamasutra auswendig. Es ging darum, den männlichen Körper zu kontrollieren: ihn langsam und beständig vor sich hinköcheln zu lassen, um ihn dann just in dem Moment zum Kochen zu bringen, in dem wir es wollten.20
Erotische Kompetenz, technische Finessen - die Sexarbeit ist aber mehr als ein Handwerk. Das Wesen prostitutiver Dienstleistungen reicht von einer zügigen Triebabfuhr bis zu Formen sexueller Nähe, die Liebesbeziehungen ähneln. Die Kontaktanbahnung, die Vorgespräche, oft auch die Dienstleistung selbst verlangen kommunikatives Geschick, emotionale Präsenz und psychologisches Feingefühl. Wie in anderen sozialen und therapeutischen Helferberufen erfährt die Arbeit durch das Einbringen eigener Gefühlsanteile eine Qualitätssteigerung. Doch emotionale Arbeit wirft immer auch Fragen nach Abgrenzung auf. Wie wirkt sich die Sexarbeit auf das Wohlbefinden der Frauen aus? Gibt es Berufskrankheiten? Birgt die Koppelung von emotionaler und sexueller Nähe psychische Risiken? Werden die Gefahren übertrieben, oder betrügen Frauen, die an der Sexarbeit Gefallen finden, sich selber?
3 DIE AUSWIRKUNGEN
Klischee Nr. 9:
Durch Sexarbeit nehmen Frauen psychischen
Schaden.
Sexarbeiterinnen sind keine homogene Gruppe - weder von ihren Persönlichke iten noch von ihrem Arbeitserleben her. Für einige bleibt die Sexarbeit eine Episode, für andere die lebenslang erfüllendste Berufsoption. Für die einen ist sie ein Alptraum, für andere eine Berufung. Manche Frauen durchlaufen mehrere Prostitutionsmilieus, ehe sie ihren 1 'atz im Gewerbe finden, und erleben die Tätigkeit jedesmal neu und anders. Andere pendeln ständig zwischen Sexarbeit und bürgerlichen Berufen. Sexarbeiterinnen arbeiten in unterschiedlichen Umfeldern und erleben in puncto Sicherheit und Autonomie gegenüber Kunden und Arbeitgebern verschiedene und oft sehr komplexe Situationen. Auch die Außenwelt nimmt sie unterschiedlich wahr: Trotz unterschiedlichster Szenarien und Bedingungen trifft die volle Wucht des Stigmas als erstes die Straßenprostitution. Aber auch die Sexarbeit in Innenräumen kennt Statusunterschiede, je nachdem ob die Frau in einer Massage-Klitsche oder einem Nobelbordell, in einem Sex-Kino oder für eine Escort-Agentur arbeitet. Aus alledem folgt: Da es weder die Prostitution noch die Prostituierte gibt, kann die Sexarbeit auch nicht in gleicher Weise erlebt und psychisch verarbeitet werden.
Die These, daß die Sexarbeit Frauen grundsätzlich psychisch schädigt oder traumatisiert, entbehrt jeder seriösen wissenschaftlichen Grundlage. Studien, die diese Botschaft verkündeten, gingen meist von moralischen Vorannahmen aus, um diese dann in opportunistischen Samples oder einzelnen Prostitutionssegmenten bestätigt zu sehen: in der Regel wenig privilegierten Straßen-, Elends-oder
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