Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Drogenprostituierten mit speziellen Lebensbedingungen.
Beinharte Prostitutionsgegner arbeiten ausgesprochen gern mit solch selektiver Wahrnehmung. So suggerierte eine 1998 erschienene feministische Fünf-Länder-Studie über die psychischen Auswirkungen der Prostitution durch ihre globale Orientierung den Anschein von Repräsentativität, untersuchte aber de facto in allen Ländern -
Südafrika, Thailand, Sambia, der Türkei und den USA - nur Elends-und Drogenprostituierte. Die Studie kam zu dem Ergebnis, daß die überwiegende Mehrheit der befragten Prostituierten an posttrauma-tischem Streßsyndrom litt.21 Die Verblüffung über diese Resultate hält sich in Grenzen: Angesichts ausgewählter Samples in überwiegend randständigen Ökonomien und patriarchalen Kulturen sind differenzierte Ergebnisse auch eher unwahrscheinlich. Die Schlußfolgerung - Prostitution sei eine Form sexualisierter Gewalt, die Frauen zutiefst traumatisiert - ist in ihrer Undifferenziertheit jedoch unseriös.
Manchmal blendet die selektive Wahrnehmung sogar die aus, um die es zentral geht: die Sexarbeiterinnen. So vergab die Berliner Ärztekammer 1999 einen Preis für die Examensarbeit einer Psychologin über »Prostitution und Gesundheit«, die fast ausschließlich auf Expertenbefragungen basierte. Die Gesprächspartner der Autorin aus Beratungsstellen und Interessen-gruppen bewerteten die Prostitution als Armuts-und Notlagen-problem. Niemand hätte ernsthaft etwas anderes erwartet, denn schließlich verdanken die Akteure an der Beraterfront ihre Legitimation den weniger privilegierten Prostitutionssegmenten, und ihre Angebote richten sich fast ausschließlich an diese Zielgruppen.
Doch wenn eine wissenschaftliche Arbeit auf der Basis indirekter Recherchen mit interessegeleiteten »Experten« zu dem Ergebnis kommt, daß die Mehrheit der Prostituierten nach einigen Jahren in der Prostitution psychisch und physisch geschädigt ist und es daher keine gesundheitlich unbedenkliche Prostitutionsform gibt, sollte die Autorin (und die Ärztekammer) einmal ihre wissenschaftlichen Standards überprüfen.
Seit den neunziger Jahren stellt eine neue Generation von Sexologen und Prostitutionsforschern das Klischee von der grundsätzlich entwürdigenden Sexarbeit weltweit in Frage: empirisch, mit differenzierendem Blick auf unterschiedliche Prostit utionsmilieus und auf die Mechanismen, die die Sexarbeit so variabel gestalten. Ihre Resultate belegen, was Prostituierte und Hurenaktivistinnen seit langem wissen: Wenn Sexarbeiterinnen leiden, dann meist nicht unter dem Tauschgeschäft an sich, sondern unter ungünstigen Arbeitsbedingungen und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Was die Arbeitsbedingungen angeht, so zeigen neuere Studien übereinstimmend, daß die Straßenprostitution meist als belastender empfunden wird als das Anschaffen in Innenräumen. Während Straßenhuren in amerikanischen Befragungen und Studien häufiger über psychische Probleme klagten, äußerten sich Bordell-und Escortkolleginnen meist zufriedener und sahen sich selbst eher selten als Opfer.22 Die australische Soziologin Roberta Perkins befragte eine Gruppe von Sexarbeiterinnen in Sydney, die in Bordellen und als Callgirls arbeiten. Die Mehrheit der von ihr Befragten gab an, die Bedingungen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen selbst gestalten bzw.
kontrollieren zu können. Die meisten Frauen waren weder vor noch nach dem Einstieg in die Sexarbeit drogenabhängig oder Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Im Gegensatz zum Klischee stumpften sie auch nicht sexuell ab. Im Vergleich zu anderen Frauen erlebten sie sogar mehr Orgasmen in ihrem Privatleben.23 Und in einer amerikanischen Studie über Dominas gaben jeweils 90% der Befragten an, die Arbeit wirke sich positiv auf ihre Lebensqualität und ihr Gefühlsleben aus.24
Vieles weist darauf hin, daß die Lebensumstände vor dem Einstieg stark daran beteiligt sind, in welchem Prostitutionssegment die Frau landet und wie sie die Arbeit erlebt. Eine niederländische Studie über das Wohlbefinden von Prostituierten entdeckte einen aufschlußreichen Zusammenhang zwischen traumatischen Kindheitserlebnissen, materieller Not, ungünstigen Arbeitsbedingungen, psychischem Streß und einer geringen Zufriedenheit mit dem Prostituiertenberuf.
Umgekehrt waren Frauen, denen es in der Prostitution gut ging, überwiegend in den Niederlanden geboren, hatten in privaten Beziehungen weniger Mißbrauch und Gewalt erfahren, waren seltener in die
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