Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
»wie die Frauen mit dieser Tätigkeit psychisch zurechtkommen, ob sie zum Beispiel durch Zuhälter ausgebeutet werden. Wir gehen davon aus, daß sie ein schlechtes Gewissen plagt, ihrem Genuß auf Kosten der Frauen nachzugehen.«57 Prostitutionskunden gehen also keineswegs so unbefangen machtbewußt mit ihren Erfahrungen um, wie es das Klischee vom Freier als Täter nahelegt. Leugnung, Verdrängung und Projektion pflastern ihren Weg aus den Sphären des Rotlichts zurück ins soziale Leben. Die widersprüchlichen Gefühle, die sie in den Parallelwelten des bezahlten Sex durchleben, und die Mauer des Schweigens, mit der sie sich immer wieder von ihr distanzieren, zeigt, daß auch sie den Zwängen einer keineswegs grenzenlos toleranten Sexualmoral unterliegen. Als Dieter Kleiber und Doris Veiten ihr Kundensample nach Einstellungen zu Liebe und Sexualität befragten, fanden sie heraus, daß der Konflikt zumindest teilweise in ihrem Verständnis von sexueller Treue angelegt sein könnte. »Auffallend viele Freier hatten - unabhängig vom eigenen tatsächlichen Verhalten
- eine erstaunlich restriktive Einstellung bezüglich sexueller Treue«, schrieben die Wissenschaftler. »Auch bei den Freiern gilt sexuelle Treue etwas -und dies offenbar unabhängig vom eigenen Verhalten und unabhängig von der eigenen Promiskuität. Angesichts solcher Einstellungen zur Sexualität dürften die eigenen Prostitutionsbesuche z.T. höchst konflikthaft verarbeitet werden.«58 Die emotionale Ambivalenz kann aber auch ganz andere Gründe haben: Frau müßte man sein: Yannis/ Prostitutionskunde Frauen argumentieren oft, daß Männer eine Prostituierte auf ihren Körper reduzieren. Wenn man aber wie ich beruflich viel reist und oft auf Messen ist, woher soll man da die Zeit nehmen, eine Frau erst kennenzulernen, ehe man mit ihr ins Bett geht? Mein Problem ist nicht, daß ich die Prostituierte reduziere oder sie nicht als Mensch akzeptiere. Im Gegenteil: Ich beneide sie. Wie oft denke ich mir: Frau müßte man sein.
Dann könnte man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Nein, das einzige Problem bereitet mir die Geldübergabe. Da habe ich das Gefühl, ich könnte sie durch den Akt des Bezahlens abwerten, als ob ich ihr sagen würde: Nimm das Geld, und verschwinde aus meinem Leben.
Standardwerke zur männlichen Sexualität schweigen sich über die Funktion sexueller Tauschgeschäfte für die sexuelle und Rollenidentität des Mannes gern aus. Selbst Andrologen-Guru Bernie Zilbergeld beackert die männliche Sexualität ausschließlich in ihren Erscheinungsformen innerhalb privater Beziehungen. Immer noch werden Liebe und Sexualität weitgehend gleichgesetzt, selbst von denen, die es besser wissen müßten. Aber wenn das Erleben privater und kommerzialisierter Sexualität sich gleichen würde, wo läge dann der Reiz der Prostitution, ihre Funktion und ihr tieferer Sinn - das, was sie seit Menschengedenken am Leben erhält? Welche Vorstellungen von Sexualität sprengt die neue Sexarbeit? Welche Spuren hinterlassen sexuelle Tauschgeschäfte in den Privatbeziehungen der Männer und im weiblichen Rollenverständnis? Sind Frauen die Prostitutionskundinnen von morgen? Und wozu braucht unsere Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts noch sexuelle Tauschgeschäfte?
III FRAUEN UND MÄNNER
Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise. Wie der Wirtschaftsliberalismus - und aus analogen Gründen - erzeugt der sexuelle Liberalismus Phänomene absoluter Pauperisierung. Manche haben täglich Geschlechtsverkehr; andere fünf-oder sechsmal in ihrem Leben oder überhaupt nie. Manche treiben es mit hundert Frauen, andere mit keiner. Das nennt man das
»Marktgesetz«.59
Michel Houellebecq
1 SEXUELLE DISKURSE
Um zu ergründen, was die erotische Dienstleistung von der romantischen Liebe oder vom unverbindlichen, aber kostenlosen One-Night-Stand unterscheidet (oder aber was diese Formen der Intimität eint), ist es nötig, ein wenig auszuholen. Werfen wir einen kurzen und unvollständigen Blick auf einige der gängigsten Annahmen, die das Sexverständnis des modernen Mainstreams einiger westlicher Gesellschaften prägen. Dieser kleine Parcours durch die Arena sexueller Diskurse ist unverzichtbar. Zum einen, um Positionen und Argumentationslinien zu benennen, die wir in Diskussionen über
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