Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Frauen auf der Gewinnerseite, Männer ohne Aufstiegs-chancen und ältere Frauen auf der Verliererseite verortet. »Betrachtet man das Verhalten von Männern und Frauen auf dem Heiratsmarkt«, resümiert der Marketing-Experte Thomas Jendrosch, »so sind auch hier die ökonomischen Kriterien der Partnerwahl unübersehbar. Von Romantik ist hier keine Spur zu finden, vielmehr geht es um das kommerzielle Anpreisen von persönlichen Vorzügen und um den systematischen Abgleich der unterschiedlichen Bedürfnispräferenzen, so lange, bis das passende Partnerprodukt gefunden ist.«61
Diverse Berufsgruppen und Industriezweige profitieren vom weitverbreiteten Wunsch, den eigenen Marktwert zu steigern. 1,8
Milliarden DM geben deutsche Frauen jährlich für dekorative Kosmetik aus. Jeder 20. Deutsche ist Mitglied eines Fitness-Studios.
Um partnermarkttauglich zu sein, treiben Frauen und Männer nicht nur einen immer größeren finanziellen und zeitlichen Aufwand, sondern delegieren die Kontaktaufnahme zunehmend an Spezialisten.
Rund 500 Heiratsvermittlungsagenturen erzielten hierzulande einen Umsatz von knapp einer halben Milliarde DM.62 Wer nach den Kriterien westlicher Partnermärkte seinen Platz in diesem System nicht findet, ist auf Alternativen angewiesen. Eine beliebte Strategie in den Zeiten der Globalisierung ist die Verlagerung der Sex-oder Lebenspartnersuche in die Marktarenen wirtschaftlich schwächerer Länder. Eine andere besteht in der Verweigerung: Sexuelle Abstinenz, Prostitutions-oder unverbindliche Sexkontakte ersetzen die romantisch überhöhte und ideologisch besetzte Suche nach einer Lebenspartnerin.
Dies als eine Art moralische Zerrüttung zu beklagen, die durch einen individuellen Sinneswandel umkehrbar sei, macht wenig Sinn.
Daß Konsum-, Tausch-und Marktwertgedanken in der Pnvatsphäre Fuß fassen konnten, ist das Resultat gewachsener Strukturen. Die Beziehungen des Marktes bestimmen seit den Anfängen des Industriezeitalters das Sozial-und Privatleben, bis sich der Wert eines Menschen überwiegend aus dem Marktwert seiner Arbeitskraft ableitet. Im 20. Jahrhundert, spätestens aber nach dem Zweiten Weltkrieg, werden die Menschen der westlichen Hemisphäre systematisch zu Konsumenten erzogen, bis der private Konsum die Industrieproduktion schließlich auch als Konjunkturmotor einholt.
Die traditionellen Wertesysteme verlieren aber nicht nur durch das Primat der Ökonomie an Substanz, sondern auch durch die gesellschaftlichen Umbrüche, die die westliche Welt in den sechziger Jahren erschütterten. Die Sitten werden lockerer: Individuelle Bedürfnisse und Selbstentfaltungswünsche verdrängen konservative Werte wie Pflichtbewußtsein, Treue, Religiosität. Die Freizeit läuft zunehmend konsumorientiert ab, anstatt über den Beruf definieren immer mehr Menschen ihre Identität primär über private Lebensstile.
Der Anspruch auf Gleichheit zwischen Mann und Frau hinterfragt alte Rollenbilder und bringt neue Freiheiten, aber auch neue Interessenkonflikte mit sich. Weniger Eheschließungen, steigende Scheidungsraten, mehr Eineitern-und gemischte Familien sind das vorläufige Resultat. Beziehungen definieren sich stärker als zuvor über Gefühle und Sexualität, an die Stelle der Ehe tritt die serielle Monogamie. Herausgelöst aus einem Korsett alter Normen und Werte, wird die Sexualität als eigenständiger Lebensbereich wahrgenommen, eine Etikette des toleranten Pluralismus löst starre Dating-und-Mating-Modelle ab. Die Pille und die sexuelle Revolution emanzipieren die Libido von den Zwängen zur Reproduktion, und ein erweiterter Markt erotischer Dienstleistungen löst die Sexualität aus den Schranken des Privaten und bietet zahlreiche Alternativen zur monogamen Partnerschaft.
Individualismus, Konsumismus, Geschlechterkampf
- der
tiefgreifende Wertewandel der vergangenen Jahrzehnte belebt und verändert auch die gesellschaftlichen Diskurse über Sexualität. In der schönen, neuen Welt einer sexualisierten Mediengesellschaft kann sich niemand den erotischen Schlüsselreizen und ihren subtileren Botschaften auf Dauer entziehen, die einen Tag für Tag aus allen Kanälen und Kiosken anspringen. Dennoch ist es kaum leichter geworden, über Sex zu sprechen. Neue Freiheiten und alte Mythen, veränderte Erwartungen und verschobene Tabugrenzen verschränken sich zu einem Diskursterrain, das einem emotionalen Minenfeld gleicht. Bombardiert mit zum Teil verstörenden Realitäten und widersprüchlichen
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