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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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Botschaften, können wir nur konstatieren, daß sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten die unterschiedlichsten Instanzen zu Diskursführern in Sachen Heterosexualität aufschwangen und sich mit konträren und manchmal totalitären Wahrheiten in unsere Synapsen, unsere Libido und unser Gewissen bohrten. Wer sind diese Diskursführer, und wie modellieren sie unsere Wahrnehmung von Promiskuität, Treue, sexuellen Tauschgeschäften, männlichen und weiblichen Sexualitäten?
     
    Klischee Nr. 21:
    Wer jung, schlank und attraktiv ist, Sport treibt und zur Spaßgesellschaft gehört, hat guten Sex.
     
    Nirgendwo entfaltet die Marktlogik ihre Diale ktik so deutlich wie in dem Prozeß, den Experten als Sexualisierung der Gesellschaft bezeichnen. Was ist damit gemeint? Seit zwei bis drei Jahrzehnten ist Sex in der Öffentlichkeit präsenter als jemals zuvor. Die wohl sichtbarste Form der Sittenlockerung manifestiert sich in freizügiger Mode, halbnackten Körpern und lasziven Posen in der Werbung, einer Zunahme erotischer Inhalte in den Medien. Die Diskretion, das Geheimnis und das Tabu, das die Sexualität noch in den sechziger Jahren umgab, weicht einer neuen Offenheit und Neugier -mit durchaus gegensätzlichen Konsequenzen. Einerseits schlössen sich Wissenslücken. Generationen von Deutschen verdanken ihr Faktenwissen über vaginale und klitorale Orgasmen, Oralsex-und andere Techniken Büchern, Filmen, Sexratgebern und Erotikma-gazinen im Fernsehen. Beate Uhse, Oswalt Kolle, Alex Comfort, Lilo Wanders und Mo Asumang holten die Deutschen aus ihrer sexuellen Verkrampfung und erzogen sie zu einem toleranten Pluralismus, zur Lust am erotischen Experiment. Ohne die Vermarktung von Sexualität hätte die sexuelle Revolution also nie stattgefunden.
    Auch heute wird sexuelles Wissen durch Instanzen vermittelt, die an der Vermarktung von Sexualität beteiligt sind. Der Kondomhersteller Durex führt alljährlich Studien zu sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen durch, die jedesmal ein breites Medienecho finden.
    Ein Großteil der sexualwissenschaftlichen Forschung kommt nur durch das Sponsoring der Pharma-Industrie zustande. Auf den internationalen Sexologie -Kongressen hetzen Mediziner und andere Experten mit Taschen voller Marketing-Mappen aus den Häusern Pfizer, Takeda und Lillylcos von einer Präsentation zur nächsten. Ein Großteil dessen, was wir von diesen Multiplikatoren über Sexualität erfahren, verdanken wir im Endeffekt Institutionen, deren Primär-interesse der Vermarktung von Produkten gilt, die die menschliche Sexualität erleichtern, bereichern oder absichern sollen.
    Der Symbiose zwischen Information und Kommerz verdanken Männer und Frauen einerseits ihre erweiterten Handlungsspielräume in ihren sexuellen Neigungen und Identitäten. Andererseits wurde die Definitionsmacht über das, was »guten« oder auch politisch korrekten Sex ausmacht, mehr und mehr an die Medien, allen voran konsu-mistische Lifestyle -Magazine, delegiert. Nur allzu bereitwillig greifen das Privatfernsehen und eine neue Generation von Zeitschriften die Symbole der sexuellen Revolution auf und rühren sie zu einem kurzweiligen Infotainment-Mix zusammen, um sie allmählich in eine regelrechte Lifestyle -Diktatur zu überführen. Sex ist nicht länger ein menschliches Grundbedürfnis, sondern eine Trendsportart für Menschen, die ihre Muskeln stählen, sich fettarm ernähren und bestrebt sind, vermeintliche körperliche Unzulänglichkeiten kosmetisch und chirurgisch zu korrigieren. Sex entwickelte sich von einer Privatangelegenheit, einem individuellen Weg zur Selbsterkenntnis, zu einer kulturellen Aktivität, die Trendzyklen und Diktaten des Konsums folgt und dem Konsumenten ein neues Statusdenken nahelegt:
    Wer in puncto Alter, Aussehen, Persönlichkeit oder Einkommen nicht in die Spaß- und Konsumgesellschaft paßt, wird nicht nur sozial ausgegrenzt, sondern auch entsexualisiert. Der Wert, den Sexualität als frei gestaltbarer Lebensraum für den einzelnen gewonnen hat, wird durch die Selektionsprozesse einer auf Jugend und Schlankheit programmierten Konsumkultur praktisch wieder in Frage gestellt.
    Ironie der Geschichte, daß tragende Stilelemente dieser »Lifestyle -
    Sexualität« ursprünglich aus tabuisierten sexuellen Ecken stammen.
    Wie im Kapitalismus bewährte Praxis, wurden einstmals schockierende Elemente und Symbole der Ausgegrenzten in den kulturellen Mainstream eingemeindet, ohne allerdings die Urheber in gleichem

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