Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Singles sind kaufkräftig und stürzen nicht in eine Identitätskrise, die ihnen den Erlebnis-und Konsumhunger raubt. Auch die moderne deutsche Urlaubskultur bietet in puncto Geschlechtsspezifik ein zunehmend egalitäres Bild. Abseits sozialer Kontrollen scheinen sich Männer und Frauen gleichermaßen als Sexualmatadoren zu profilieren, als selbstbewußte Hedo-nisten, die mit multiplen Eroberungen ihre Identitäten als sexuelle Wesen stärken. Damit hat sich die deutsche Gesellschaft ganz offen an eine Promiskuitätsnorm herangearbeitet, die einst der Prostitution vorbehalten war.
Von einer strikten Trennung privater und kommerzieller Lustsphären kann also immer weniger die Rede sein. Einerseits nähern sich z. B. Stammkundenbeziehungen in der Prostitution immer stärker privaten Beziehungen an, auch wenn deren Grenzen genauer definiert bleiben. Ein Beispiel dafür ist die Bezeichnung »GFE (= girlfriend experience) Provider«, mit der immer mehr unabhängige Escorts im Ausland für ihre Dienste als Ersatzfreundin werben. Andererseits wirken die Botschaften kommerzieller Instanzen stärker in unsere Privatsphäre hinein als jemals zuvor. So werden Pornos kaum mehr in schummerigen Blue-Movie -Häusern konsumiert, sondern vorm heimischen Videorecorder. Die Botschaften der Lifestyle -Sexualität erreichen uns via Privatsender und Zeitschriftenlektüre. Und der Markt prägt seine Konsumenten, allen voran die Jugend.
Umfragen zum Sexualverhalten zeigen, daß Jugendliche immer früher immer mehr Sexpartner haben. Ein promisker Lebensstil wird auch im deutschen Alltag Jugendlicher allmählich zur Norm, wenngleich nicht annähernd so egalitär wie im Urlaub. Laut Durex Global Sex Survey 1999 haben männliche Jugendliche bis zu ihrem 18. Lebensjahr durchschnittlich 5,3 Sexpartner, die Altersgruppe der 19-bis 21jährigen liegt mit 6,6 nur leicht darüber. Bei den jungen Frauen summieren sich die Erfahrungen bis zur Volljährigkeit auf 3,3
Partner, die 18-21jährigen bringen es im Schnitt auf 3,7. 36% der deutschen Befragten beiderlei Geschlechts sind ihrem Partner schon einmal untreu gewesen. Durex interpretiert die Daten zum einen als Reaktion auf einen von Trends beherrschten Lifestyle, zum anderen als Reaktion auf den weniger monogamen Lebensstil der Elterngeneration.
Klischee Nr. 22:
Sex und Liebe gehören zusammen.
Aber ist die monogame Ehe in Zeiten, in denen der Konsum zur gesellschaftlichen Grundaktivität geworden ist, als Lebensstil überhaupt noch zeitgemäß? »Die meisten von uns sehen es als ganz selbstverständlich an, daß wir unsere Einkäufe, sogar für eine einzige Art von Ware, in vielen verschiedenen Läden machen«, so der Wirtschaftswissenschaftler David Friedman. »Aber die meisten von uns glauben mit der gleichen Selbstverständlichkeit, in einem idealen Leben müsse man sich in ein gegenseitiges bilaterales Monopol zum Austausch eines beträchtlichen Spektrums von Gütern und Dienstleistungen begeben - und dabei bleiben, bis daß der Tod uns scheidet.«63 Friedman trifft den Nagel auf den Kopf. Zumindest in Wohlstandsgesellschaften die nt die Monogamie nicht länger ihrem ursprünglichen Zweck: dem materiellen Überleben von Kleinfamilien.
Dessen ungeachtet gilt die in eine monogame Beziehung eingebettete Sexualität im Bewußtsein vieler Menschen nach wie vor als das Muster, die Norm und das Ideal. Und obwohl immer mehr Männer und Frauen Beziehungsgrenzen überschreiten, um Sex zu haben, denken und arbeiten auch die meisten Sex-Ratgeber, Wissenschaftler und Therapeuten nach wie vor beziehungszentriert.
Betont die Lifestyle -Sexualität die Autonomie einer ungezügelten, gierigen Libido, so vereinnahmt die Beziehungssexualität den Sex im Namen der Liebe und betont den Wert sexueller Treue. Damit tritt sie aber das Erbe einer belasteten abendländischen Sexualmoral an, die sich historisch mal in den Dienst der Reproduktion, des Überlebens von Kleinfamilien, der Doppelmoral oder der romantischen Liebe stellte und ihre Adressaten mit Hilfe von Familienwerten zu sexueller Mäßigung erziehen will. Lifestyle -Sex und Beziehungssex stellen die Menschen vor widersprüchliche Botschaften, und in der Tat sind das Abwägen von Vor-und Nachteilen, die Entscheidung »Partnerschaft oder Alleinleben« und die zahllosen Versuche, die Vorteile beider Lebensformen möglichst streßfrei zu kombinieren, für die meisten Menschen zu einer immensen moralischen Herausforderung geworden, die sie nicht
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