Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Kontext von Liebesbeziehungen angeblich besonders intensiv empfunden werden soll, spricht das Erfahrungswissen vieler Menschen eher dafür, daß die Lustlosigkeit in einem überfrachteten Beziehungsideal angelegt ist. So hält der Paartherapeut Michael Mary die weitverbreitete Vorstellung, daß eine stabile Beziehung und lustvolle Sexualität dauerhaft zusammengehören, für eine Liebeslüge.67 Nicht zuletzt die Geschichte der Prostitution gibt ihm da recht. Die Idee der Liebesheirat existiert seit etwa 200 Jahren. Sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe, prostitutive wie nicht-prostitutive, wurden dagegen zu allen Zeiten kultiviert. Die Sexualität stand, wie Mary so schön sagt, nie im Dienst der Paarbindung.
Neben der »natürlichen«, phasenhaften Lustlosigkeit in langjährigen Beziehungen verweist der Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt auch auf die partnerdynamische Funktion sexueller Unlust.68 Wenn Frauen anstatt zuviel zuwenig (körperlich) lieben, verbirgt sich hinter dem
»Problem« oft ein Symptomgewinn in Form von Macht. Die sexuelle Verweigerung als heimlicher Triumph, als Geste der Autonomie - in bezug auf die Wünsche des Partners als auch auf eigene sexuelle Impulse - dient vor allem beziehungsinternen Machtinteressen. Die Freiheit, nein zu sagen, verdanken die Frauen der Emanzipation, doch nicht selten zahlen sie dafür mit einem asexuellen Lebensstil, mit Einbußen an Vitalität und Lebensqualität. Im Vergleich zu den zahlreichen Möglichkeiten, weibliche Lust selbstbestimmt auszuleben, ist ein pauschales Nein zur Sexualität die wohl trostloseste Form erotischer Selbstermächtigung.
Dabei sollte man meinen, daß Frauen von der Etikette partnerschaftlicher Egalität auch sexuell profitieren. Erstmals seit Jahrhunderten werden sie in ihren privaten Beziehungen als eigenständige sexuelle Wesen wahrgenommen und respektiert. Die Modalitäten partnerschaftlicher Sexualität werden heutzutage besprochen und ausgehandelt. Vom Mann werden Einfühlung, Sensibilität und Rücksichtnahme erwartet - ein bewußtseinsmäßiger Quantensprung im Vergleich zu den erotisch oft inkompetenten Väter-und Großvätergenerationen, die von der Frau kein autonomes sexuelles Erleben, sondern Verfügbarkeit einforderten. Nie genossen Frauen mehr Freiheit, die eigene Sexualität innerhalb einer Beziehung selbstbestimmt und bewußt zu kultivieren, als heute. Andererseits könnte ebendiese Etikette der Kommunikation, die dank Oswalt Kolle Einzug in deutsche Schlafzimmer hielt, als Garant sexueller Harmonie überschätzt worden sein. Das Rationalisieren der Libido nährte die Illusion einer Steuer-und kontrollierbaren Sexualität, deren anarchisch-freie Seiten nach Belieben ignoriert, verleugnet oder wegmoralisiert werden konnten und sich Beziehungsinteressen unterzuordnen hatten. Wenn Beziehungen nur noch bedingt nach dem Lustprinzip funktionieren, liegt es auf der Hand, daß die sexuelle Lust ausgelagert wird: in Nebenbeziehungen, in die Prostitution und andere, tendenziell unverbindliche Sexkontakte, und zwar nicht nur von Männern. Bis zu 40% aller gebundenen Frauen gehen fremd.69
Auch wenn Träume von monogamen Beziehungen in den Medien nach wie vor Konjunktur haben, befindet sich der Stellenwert, den Frauen der Sexualität in ihrem Leben einräumen, längst in einer Übergangsphase zwischen beziehungsorientierten und eher pragmatischen Sichtweisen.
Klischee Nr. 24:
Liebesbeziehungen sind keine Tauschgeschäfte.
Man muß nicht erst Begriffe wie Versorgungsehe oder Ehegattensplitting bemühen, um zu erkennen, daß die Privatsphäre nie ein kommerzfreier Raum war. Zu allen Zeiten haben Frauen ihre sexuellen Ressourcen als Tauschgeschäft eingesetzt, entweder 1:1
gegen Bargeld oder Naturalien oder indem sie Sex gegen den Status der Ehefrau tauschten. Als die Generation unserer Großmütter heiratete, war es für die meisten selbstverständlich, die Aufgabe ihrer sexuellen Unerfahrenheit an das Ehefrauendasein zu knüpfen, das sie an Einkommen und Vermögen des Ehepartners beteiligte. Die Idee der romantischen Liebe verschleiert auch die Tatsache, daß es für die Mehrheit der Frauen immer schon überlebensnotwendig war, Versorgungsehen einzugehen. Weder Bildung noch der Arbeitsmarkt standen ihnen im gleichen Maße offen wie Männern, und wollten sie nicht als verachtete Prostituierte oder verarmte Alleinstehende enden, band sie eine repressive Sexualmoral automatisch in die Rolle der Ehefrau und Mutter ein.
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