Lass es bloss nicht Liebe sein
sah weg.
Alessandro hob fragend die Brauen und seufzte. » Okay, ich ruf an.« Er ging zu seinem Schreibtisch. Nahm den Hörer auf und fixierte William. » Echt schade, dass du morgen nicht mit uns nach Frascati fahren kannst. Überleg es dir, Ostermontag ist bei uns traditionell die Pasquetta– da machen wir ein Picknick mit unseren Jungs, und du hättest schön ein bisschen Zeit mit deinen Patenkindern verbringen können.«
William nippte an seinem Whiskey und wich dem Blick seines Freundes aus. » Mmh, Pasquetta, schöne Sache, das mit dem Osterpicknick.« Seine Augen klebten an dem Lucian Freud, während Alessandro mit seinem Informanten diskutierte. Dann legte er den Hörer auf.
» Borghese-Gärten, morgen, er wusste nur nicht genau, wo dort– oder wollte es mir nicht sagen. Nur so viel: Es soll sich um einen verdeckten Ermittler handeln, der sich als Käufer ausgibt.«
Alessandro schlenderte zurück zur Couch und setzte sich mit seinem Drink. » Vergiss das Buch. Weston’s kann schließlich nicht immer erfolgreich sein– man muss auch mal verlieren können. Das Buch kommt wieder dorthin, wohin es gehört, vorausgesetzt, du unternimmst nichts. Fahr morgen mit uns, okay? Du kannst den ganzen Tag in der Sonne liegen und faulenzen. Francesca hat Unmengen gekocht und eine köstliche Pasqualina gebacken.«
William blieb ihm eine Antwort schuldig.
Sie liefen durch das dunkle Treppenhaus, und William verschwand in dem Zimmer, in dem er sich für gewöhnlich einquartierte, wenn er die Leonellis besuchte. Der Raum im zweiten Stock der schlossähnlichen Villa war mit einem Kingsizebett aus dunklem Holz ausgestattet, die Wände waren zartblau gestrichen, ein alter Perserteppich mit blassem, pastellfarbenem Muster bedeckte den Boden. Der Blick aus dem Fenster war traumhaft. Über schattenspendende Pinien und Zypressen schaute man direkt in den Garten der Villa Giulia. Die Zwillinge schliefen eine Etage tiefer, neben dem Schlafzimmer ihrer Eltern, aber wenn William zu Besuch war, flutete der Lavastrom von Spielzeugautos und Legosteinen auch in sein Gästezimmer.
Nach ein paar Stunden Schlaf wurde er wieder wach. Es war erst vier Uhr morgens. Er dachte an Lily, und sein Brustkorb verkrampfte sich schmerzvoll, als schnürte ihm ein tonnenschwerer Mühlstein die Luft ab. Sie hatte ihn verlassen– wahrscheinlich hatte sie es von Anfang an geplant.
In der Duschkabine machte Lily eine kurze Bestandsaufnahme ihrer Situation. Es war Ostersonntagabend. Sie hatte zum Glück ihren Pass und ihre Visacard dabei. Blöderweise jedoch keinen Cent Bargeld in der Tasche. Vermutlich hatte William mittlerweile gecheckt, dass das Buch bloß eine Kopie war. Demnach hatte er sich auf Robbies Spur gesetzt und war ihm nach Rom gefolgt. Sie beschloss, ebenfalls nach Rom zu fahren. Und wenn sie William nicht ausfindig machte, könnte sie sich wenigstens Geld besorgen und ein Hotelzimmer und eventuell einen Flug nach Sydney.
Sie glitt aus der Duschkabine und vor den Spiegel, bürstete sich die Haare und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ging sie zögernd die Stufen zum Eingang des Autogrills hoch. Rechterhand war der Shop, links von ihr die Cafeteria.
Die Cafeteria war zwar proppenvoll, Robbie und Sebastian konnte sie indes nirgends entdecken, wenigstens etwas Positives in ihrer beschissenen Situation. Sie nahm sich ein Tablett und entschied sich für einen Teller Gnocchi, denn sie hatte Hunger. An der Kasse wurde ihre Visacard jedoch nicht akzeptiert. Der junge Mann entschuldigte sich vielmals, aber was half ihr das? Frustriert ließ sie ihr Tablett an der Kasse stehen und setzte sich an einen der Fenstertische. Allmählich begann sie, Italien zu hassen.
Eine kurze Weile später lief sie wieder auf die Damentoilette. In ihrer vertrauten Duschkabine zog sie die Füße auf die schmale Holzbank, damit sie nicht entdeckt würde. Ihr Verstand raste. Verflixt, was sollte sie jetzt bloß machen? Der abendliche Autoverkehr ließ nach, gelegentlich hörte sie das Rauschen der Toilettenspülung, währenddessen fläzte sie sich wie ein Fakir auf der Holzbank, weil ihre Beine eingeschlafen waren und es mörderisch kribbelte.
So viel zum Thema Liebe. Aus und vorbei? Robbie, Sebastian, William– alle Lügner. Sie war neunundzwanzig Jahre alt, und der Einzige, der sie bedingungslos liebte, war Otto.
Wo mochte William jetzt sein? Sie hatte ihm keine Nachricht hinterlassen, nichts. War einfach gegangen. Im Nachhinein hätte sie sich
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