Lass es bloss nicht Liebe sein
serviert, dazu der Salat.
» Meine Eltern flüchteten in den Siebzigerjahren aus der damaligen UdSSR in den Westen. Sie zogen in den Norden Londons. Ich hab noch drei Brüder und bin der Zweitälteste. Meine Familie ist im Importgeschäft tätig und beliefert die größeren Lebensmittelketten mit russischen Spezialitäten. Darüber hinaus sind sie aktive Mitglieder der anglo-russischen Gemeinde.«
» Wie heißen sie und wie sind sie so– geh mal ein bisschen ins Detail.«
Er schnitt in sein Schweinefilet und sagte: » Meine Eltern, Nadeschda und Alexej, setzten sich mit meinem ältesten Bruder aus der Sowjetunion ab. Kolja war damals noch ein Baby. Sie flohen, weil sie nicht in der Partei waren und als politisch unzuverlässig galten, denn sie waren strenggläubige Christen. Folglich bekamen sie weder gute Jobs noch vernünftige Schulen für ihre Kinder, an ein Auto war nicht zu denken. Sie durften auch nicht in Moskau wohnen. Sie kamen beide aus Sibirien, Kinder von Zwangsarbeitern, die gegen Ende des 19 . Jahrhunderts nach Irkutsk verbannt worden waren. Anhänger einer amerikanischen Gemeinde schmuggelten sie außer Landes. Nicht lange nach ihrer Ankunft in London wurde ich geboren, nach mir kamen meine Brüder Juri und Mischa.«
Lily lauschte gebannt, ihr Blick klebte an seinen Lippen, sein Gesicht von Mondlicht erhellt. Er brach ab und schob sich einen weiteren Bissen in den Mund.
» Erzähl weiter. Was machen deine Brüder?«
» Kolja lebt heute in Moskau; er importiert Luxusartikel und ist schwerreich, sehr zum Leidwesen meines Vaters. Juri ist Topmanager bei der Barclays Bank in London.«
» Sehr zum Leidwesen deines Vaters, stimmt’s?«
Er nickte. » Du hast es erfasst. Und Mischa macht schlimme Sachen im organisierten Verbrechen. Wir wissen nicht genau wo. Wir vermuten in Polen.«
» Echt? Ich kann mir lebhaft vorstellen, was dein Vater davon hält.«
William nickte und fuhr fort: » Kolja hat eine rassige russische Beauty geheiratet. Natalja und er haben zwei Kinder, das dritte ist unterwegs. Juri verschleudert sein Geld mit Partys. Wir sind alle nicht religiös, wie du dir sicher denken kannst, obwohl wir im russisch-orthodoxen Glauben erzogen wurden.«
» Du hast dich für Kunst entschieden, das liegt nah beieinander. Kunst, Religion und Sex– die einzig wahren Wege zur Ekstase.«
» Und jetzt verdien ich meine Brötchen, indem ich Köpfe rollen lasse, genau wie die anderen. Du kannst einen Sohn im vornehmen Teil Londons großziehen und ihn auf die Kunstakademie schicken, trotzdem schlummert weiterhin der hinterhältige, niederträchtige Bauernlümmel in ihm.«
» Du bist zu hart mit dir.«
» Du hast angedeutet, dass du schlimme Sachen gemacht hast, als du drogenabhängig warst– ich habe auch schlimme Sachen gemacht und dafür keine Entschuldigung.
Nach ihrer riskanten Flucht aus der Sowjetunion hatten meine Eltern sich für uns Kinder zweifellos etwas anderes vorgestellt. Aber ich vermute mal– beweisen kann ich es nicht–, dass die leidenschaftliche Verehrung, die mein Vater für den heiligen Basilius empfand, mit seiner Vergangenheit zu tun hatte, die er am liebsten verdrängt hätte. Das Leben in Sibirien war bestimmt nicht einfach.« Er starrte seufzend in sein Weinglas. » Manchmal, wenn ich mich rasiere, sehe ich ihn im Spiegel.«
Lily stellte sich mental vor, wie sie durch die verschneite Taiga fuhr, tätowierte Wilderer beim Eisfischen beobachtete und weiße Tiger, die geschmeidig durch den tiefen Schnee setzten, dabei gefror ihr Atem zu Eiskristallen und fiel wie Schneeflocken zu Boden, während Rentiere ihren fellgepolsterten Schlitten zogen.
» Du bist plötzlich so still. Schockiert dich mein Background?«
Lily blinzelte. » Nein, überhaupt nicht. Er ist wild und exotisch, verglichen mit meiner Jugend in der Stadt.«
» Ich bin wie du in der Stadt aufgewachsen und nicht in einer Datscha.«
Lily schob ihren Stuhl zurück und streckte sich, betupfte sich mit einer Serviette die Lippen.
» Ich finde, euer Vater kann richtig stolz auf euch sein. Vier gesunde Söhne, die Karriere gemacht haben, und bloß ein Ausreißer dabei. Damit meine ich Mischa und nicht dich.«
» Ich glaube, es hätte ihm mehr behagt, wenn alle vier orthodoxe Priester geworden wären.«
Lily nickte. » Was väterliche Kritik betrifft, kann ich nicht mitreden. Robbie hat natürlich manchmal an mir rumgenörgelt.«
» Und deine Mutter? Es war bestimmt hart für dich, sie so früh zu
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