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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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was an neuem Atem durch die Gegenwart strömt, dann bezieht es daraus ein Kraftgefühl, das ihm erlaubt, auf das ihm Begegnende und auch auf das ihm Entgegenstehende ohne Ressentiments zu reagieren.«
    Genau das aber war der 9. Oktober ’89. Spontaner Aufbruch, Abwerfen einer verjährten Vergangenheit. Aber den »neuen Atem« weitergehender Reform haben wir verpasst, indem wir es versäumt haben, nach Artikel 146 GG uns eine gemeinsame, von allen Deutschen angeeignete Verfassung zu schaffen, die Grundlagen des sich bewährt habenden Grundgesetzes aufnehmend, aber um Neues angereichert. Die pure
Selbstbestätigung
der »Siegreichen« hat verhindert, einen neuen Aufbruch im
neu
vereinigten Deutschland zu wagen (wie Willy Brandt immer wieder sagte, statt des bloß
wieder
vereinigten!). Die Vereinigung des Unvereinbaren per im Vereinigungsvertrag geregeltem Anschluss musste zu einem Kulturschock führen.
Gemeinsame
Symbole der Einheit, wie z. B. ein neuer emotional und symbolisch wertvoller Nationalfeiertag, hätten dazu beitragen können, diesen Schock zu mildern und tatsächliche Gemeinschaft herzustellen.
    |121| Der Versuch vieler Ostdeutscher, auch aus der Bürgerbewegung, die Brecht’sche »Kinderhymne« 1990 zum Lied
aller
Deutschen zu machen, scheiterte, weil in so kurzer Frist der Mehrheit der Westdeutschen kaum ein »Ost-Text« populär gemacht werden konnte, den dieser »Kommunist« Brecht da gedichtet hatte. Die im Vereinigungsprozess 1990 wegen der sehr schnell nötigen pragmatischen Lösungen kaum ernsthaft geführte Debatte über unsere Nationalhymne sollte und könnte durchaus noch nachgeholt werden. Sinnvoll wäre dies nur, wenn es zu einer wirklich breiten Debatte käme – zu einer neuen Selbstverständigung des 40 Jahre geteilten und in vielem immer noch zerrissenen Deutschlands. Walter Jens, bis 1997 Präsident der – vereinigten! – »Akademie der Künste« in Berlin, hat im Sommer 2006 versucht, solch eine breite Diskussion (wieder) anzustoßen. Petra Pau, seit 1991 PDS-Politikerin, seit 2006 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, dankte ihm dafür und erklärte, die »Kinderhymne« böte die Möglichkeit, »eine neue, humanistische und friedensstiftende Identität für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik zu stiften«. (Pressemitteilung vom 16. Juni 2006) Als Politikerin schätze sie die realen Chancen der Einführung einer neuen Hymne freilich als gering ein.
    Wo sich Reales mit Symbolischem auf glückende Weise verbindet und wo ein großes öffentliches, auch mediales Interesse dafür geweckt wird, bekommt symbolisches Handeln eine Langzeit- und Tiefenwirkung, die die innere Einheit befördert und befestigt. Gerade deshalb kann und muss immer wieder erzählt werden, wie viel gelungen ist, wie viel zusammengewachsen ist, wie viel Trennendes unwichtig und wie das Verbindende bei der Lösung jetziger Aufgaben wichtig geworden ist, wie viele in der ost- wie westdeutschen Öffentlichkeit wegen ihrer Person und wegen ihrer Leistung, wegen ihres Charakters Anerkennung gefunden haben und finden, nicht wegen ihrer Herkunft: Angela Merkel, Maybrit Illner, Wolfgang Tiefensee gehören dazu. Michael Ballack hat für Bayern München und als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft Tore geschossen, und alle liebten Franzi.
    |122| Luther und Bach, Schiller und Goethe und ihre Wirkungsstätten »gehören« wieder uns allen. Vor zehn Jahren kamen nach dem Tod Heiner Müllers seine Verehrer aus Ost und West – vor allem Schriftsteller, Schauspieler, Wissenschaftler – zusammen, um seine Texte zu lesen. Wie gut konnten wir unsere gemeinsame Geschichte verstehen in den Büchern und in den Verfilmungen Viktor Klemperers, Erwin Strittmatters oder Uwe Johnsons. Andreas Dresens Filme werden in Ost und West ebenso angenommen und aufgenommen wie die eines Leander Haußmann. Die Bilder des Maler Neo Rauch hängen in vielen großen ausländischen Museen.
    Vor dem von Christo verhüllten Reichstag hat uns das Staunen und die Stille zusammengebracht. Die Dresdner Frauenkirche war und ist ein
Symbol
für gemeinsames Aufstehen aus Ruinen, auch aus unserer Zaghaftigkeit. Symbole reichen nicht, aber sie helfen, insofern wir sie mit
Inhalten
zu versehen verstehen, in denen
Perspektiven
stecken, in denen unsere
Erinnerungen
und
Träume
aufgehoben sind.
    Solidarisches Handeln im Angesicht der Flut
    Nie waren die Deutschen sich seit jener Nacht des 9. November 1989 so nahe wie während der Flut im August 2002.

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