Lass Es Gut Sein
Deutschen
, die in akuter Not einander nähergekommen sind.
Vielleicht haben viele (West-)Deutsche erst bei der Zerstörung mitbekommen, wie sehr die Ostdeutschen schon erfolgreich angepackt und nicht handaufhaltend gejammert hatten, wie schön das Land an Elbe, Saale und Mulde ist. ›Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut … gedenkt unserer mit Nachsicht‹, |127| schrieb Brecht. Gedenkt unserer
ohne
Nachsicht, wenn wir nicht
Einsicht
hatten, dass nicht nur alles wieder neu, sondern vieles
anders
werden muss. Die Wassermassen haben uns eine Lektion erteilt – ob es auf Dauer eine heilsame Lektion wird, ist offen.« Es geht nicht bloß um Anpassung an Klimawandel, sondern um entschlossene Ursachenbekämpfung für Klimakatastrophen!
Schließlich ist es eine Erfahrung, die Menschen immer wieder mit sich machen: Emotionale Hochzeiten – freudige oder traurige – verbinden uns für Momente auf eine uns selbst überraschende und berührende Weise. Elementare existenzielle Herausforderungen setzen Kräfte der selbstlosen Hilfe, des tiefen Mitgefühls, der spontanen Einsatzbereitschaft frei, bringen uns einen Erkenntnisruck und helfen Beziehungsbarrieren überwinden.
Aber sie verführen auch zu (vor-)schnellen Schlussfolgerungen, die bei nachfolgender Enttäuschung die vorherigen Urteile umso mehr verfestigen.
Naturkatastophen und globale Solidarität
Fernab im Indischen Ozean raste am 26. Dezember 2004 unter der Wasseroberfläche ein Tsunami auf die Küsten zu und vernichtete unterschiedslos zehntausende Häuser, die Habe und das Leben der Anwohner und der Urlauber. Etwa 230 000 Menschen starben. Unbegreiflich bleibt das alles. Aber man versucht, es doch zu begreifen, irgendeinen Sinn darin zu finden.
»Wo war Gott?«, fragten besonders die, die sonst gar nicht danach fragen. Aber nun fragte
BILD
auf seiner Titelseite. Eine archaische Vorstellung: Gott – eine in Naturprozesse je und dann eingreifende höhere Macht – auf der Anklagebank! Haben wir Menschen denn vergessen, dass wir außerhalb des Paradieses leben und die Natur uns ganz und gar nicht mütterlich, ja geradezu grausig begegnen kann? Jedenfalls ist sie uns Menschen gegenüber nicht weniger fühllos als wir ihr gegenüber. Am Menschen und seinem Geschick ist sie jedenfalls nicht |128| interessiert. Sie »braucht« ihn auch nicht – aber er braucht sie, die schöne und schreckliche Natur. Wir haben weithin verlernt, ihre Stimme, ihre Warnung zu hören. Wir haben uns vor ihr zu bewahren (und sie bei unserem Gebrauch zu bewahren!). Noah wusste noch die Zeichen zu deuten – wie die Ureinwohner heute noch und auch die Tiere.
Das Unglück sagte uns etwas über unsere Verletzlichkeit, über unsere kreatürliche Abhängigkeit, den brüchigen Boden unter uns. Wenn darin eine Botschaft steckte, dann die: Du alles beherrschender Mensch bleibst abhängig. Das Unglück kam uns diesmal
so
nahe, weil Menschen betroffen sind, die uns nahe sind – Urlauber aus unseren Breiten, die dem »ewigen Winter« in ein sonniges Urlauberparadies – mitten in einer Armutswelt – entflohen waren. Sie konnten zugleich mit ihrem Geld aus der reichen Welt die Armut etwas lindern, ohne dass sie sich hätten darum kümmern müssen. (Wenn an den Küsten Thailands oder Sumatras niemand mehr Urlaub machte, hätten die Menschen dort noch weniger; aber eine Lösung ist der Billigtourismus, abgeschottet von der Armut, keineswegs.)
Eine weltweite Welle der Solidarität folgte der Welle des Unheils. Mitgefühl zeigt sich nunmehr global, nicht mehr nur lokal. Der Radius unseres Mitleides war größer geworden, nachdem die Welt kleiner geworden war. Im Un-Glück wird die Welt eins: soziale Globalisierung durch Mitgefühl der Völker miteinander – weil wir alle uns betroffen und getroffen fühlen. So schmerzlich das auszusprechen ist: weil auch »von uns« Opfer dabei sind. In dieser einen Welt hängt
alles von allen
ab und
alles
hängt
mit allem
zusammen. Wir sind abhängig, wir sind verflochten. Wir brauchen globale Mitverantwortung. Unser menschliches Mitgefühl ist
zunächst
– emotional – in unserem Nahbereich angesiedelt. Nun aber kommt es Menschen ganz ferne zugute. Je anschaubarer die gegebene Hilfe ist, desto wahrscheinlicher wird sie.
Es gibt globale Anrührung – neben der Apathie, der Gleichgültigkeit, der Sorglosigkeit, der Selbstbezogenheit. Aus Sorge ist Fürsorge, aus Klage Handeln, aus innerem Mitgefühl äußere |129| Hilfsbereitschaft geworden!
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