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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Bilder der Verwüstung und Verzweiflung erweckten tiefe Gefühle des Mit-Leidens und mobilisierten den Willen zu persönlicher Hilfe. Auch Erschrecken. Was ist los mit unserer Welt, was ist unser aller Anteil an weltweiten »extremen Wetterlagen«?
    Im Mittelpunkt: Dresden. Die Symbolstadt der Zerstörung seit dem Inferno vom 13. Februar 1945 und Symbol für selbstbewussten Wiederaufbauwillen. Pirna, Schmiedeberg, Grimma, Weesenstein, Meißen. Und Eilenburg, Bitterfeld, Dessau, Mühlberg, Torgau, Wittenberg-Seegrehna und das Wörlitzer Gartenreich. Hitzacker und Amt Neuhaus – Namen von Orten, die jetzt jeder kennt, der die »Reise durch ein geschundenes Land« verfolgt hat: Mitbangen wegen jeder Sickerstelle, jeder Sandsackaktion |123| und jeder Evakuierung, wegen jedes Durchbruchs, der gemeldet wurde. Aufatmen bei jeder Entwarnung.
    Viele Westdeutsche sahen persönlich – oder in den Medien – zum ersten Mal, was alles überall wieder oder neu erstanden war und nun »den (reißenden) Bach hinunterging«. Und sie registrierten, wie viel eigenes Geld, Initiative und Mut die Ostdeutschen aufgebracht hatten, wie verzweifelt die hart Betroffenen waren und wie entschlossen, noch mal und noch mal zu beginnen –
wenn
man ihnen materiell eine Chance gibt und wenn sie nicht auf den alten Schulden (Krediten) sitzengelassen werden. Die haben ja nicht bloß »Nehmerqualitäten«, sondern ein enormes Anpackpotential! Von wegen jammern – kämpfen!
    Tiefste Erschütterung, lähmende Unbegreiflichkeit, irrationale Schuldzuweisung, Suche nach Adressaten für die Wut, dumpfe Frustration, tränenerstickte Stimmen gestandener Männer – all das vermittelten Medien, ohne den sonst üblichen Katastrophenvoyeurismus.
    Dass nicht noch viel mehr überflutet und vernichtet wurde, ist mitten in allem Leid ein Wunder. Das Wunder war auch Folge eines Mutes gegen alle Wahrscheinlichkeit, gegen begründete schlimmste Befürchtungen, gegen bohrende Gefühle der Aussichtslosigkeit. Die Emotionen wechselten ständig, manchmal im Minutentakt. Tausende kämpften vereint mit brennendem Herzen und kühlem Verstand, mit Umsicht und modernster Technik gegen die Wassermassen.
    Der Osten kam auf eine Weise in den gesamtdeutschen Blick, wie sich das wahrlich niemand gewünscht hatte. Doch haben wir da eine ganz selbstverständliche Zusammengehörigkeit erlebt. Diese Flutkatastrophe hat uns zusammengebracht, mit Herz und Hand. Damals sind noch ganz andere Dämme gebrochen. Durch Hilfe. Ein neues Bewusstsein für Hilfeleistungen in »das Land jenseits der Elbe« ist gewachsen – anders als nach 1990. An
dem
Schaden sind »die im Osten« nicht selbst schuld. Das hätte uns an Rhein, Main, Mosel auch treffen können. Da ist Hilfe nötig, viel und schnell; nicht »für den Osten«, sondern
für unser Land
. Das ist eine Bürde, die von
allen
getragen werden muss, so |124| wie dies auch gälte, wenn es an Rhein oder Weser geschähe. Die Verschonten – ahnend, dass sie zufällig verschont, die anderen aber ohne Schuld hart getroffen waren – brachten eine Spendensumme auf, die in Deutschland einmalig ist: mehr als 100 Millionen Euro.
    Es war nicht übertrieben, wenn Bundespräsident Rau dies eine »nationale Katastrophe« nannte. Sie verlangte nun auch eine nationale Anstrengung, die dem Katastrophenausmaß entspricht. Eine außerordentliche Anstrengung, die das Gemeinwesen und jeden Einzelnen fordert. Vor fünfzig Jahren gab es das Lastenausgleichsgesetz. Dies war eine Vermögensabgabe der nicht von (Heimat-)Verlust Betroffenen. Es war keine Steuer, sondern eine Vermögensabgabe, um anderen wieder auf die Füße zu helfen. Von uns allen musste alles uns Mögliche dafür getan werden, dass die Betroffenen Ausgangsbedingungen bekamen, mit denen sie wieder anpacken
konnten
. Und dann haben wir ihnen auch
Mut
gemacht, noch einmal anzupacken.
    Bei dieser Katastrophe wurde sichtbar, was man Zivilgesellschaft nennt. Und
Solidarität
, dieses so oft verunglimpfte Wort ist damals in dem allgemeinen Sprachschatz zurückgekehrt: Die Solidarität der Nichtbetroffenen mit den Betroffenen, der Betroffenen mit anderen Gefährdeten. Mitgefühl hat sich mit Hilfe durch Spenden und Handanlegen verbunden. Die Helfer kamen von nebenan und von weit her; sie waren einfach zur Stelle. Spontan, von niemandem gerufen, waren sie dort, wo sie gebraucht wurden, bisweilen gar in der Überzahl, bildeten Hilfsketten beim Sandsäckeschippen, brachten Essen oder lösten erschöpfte

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