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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Deichläufer ab. Alle Generationen und Berufe waren vertreten, Kompetenz verbrüderte sich mit Engagement.
    Da zeigte sich ein »Unser-Land-Bewusstsein«. Und der Ort der Hilfe hatte einen
Namen
, die Not hatte ein
Gesicht
, der Schaden eine
Zahl
. In der Not brach Gemeinsinn durch und das Bedürfnis, unbürokratisch, schnell und konkret zu helfen. Jeder, der mitgeholfen hat, kann sich sagen: »Dass das wieder so schön ist, daran habe ich auch einen kleinen Anteil.« Ein großes Potential an Gutwilligkeit und Gemeinsinn lässt sich in unserem Land |125| mobilisieren. Jedenfalls im Ausnahmezustand. Das wird sich im Alltag nicht fortsetzen lassen – so sehr man es sich wünschen mag. Zugleich ist es und bleibt es eine überraschende und für alle ermutigende Erfahrung, dass die Bevölkerung nicht gerufen werden musste, dass sie auch keiner aufwendigen Organisation bedurfte. Die Hilfswilligen kamen in Scharen und fanden sich an den Orten ein. Und da sah man plötzlich, wo die Helfer herkamen: aus Rheinland-Pfalz, Bayern, Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin. Die Niedersachsen bedankten sich bei den Brandenburgern für die Entlastung ihrer extrem gefährdeten Dämme durch die gesteuerte Flutung an der Havel. Das föderale Deutschland bestand eine Nagelprobe seiner Zusammengehörigkeit.
    Nachhaltig wird
ein
Eindruck bei den Flutopfern und den Flussanrainern bleiben – wie plötzlich fachkompetente, engagierte, aufopferungsbereite Hilfe durch das Technische Hilfswerk, die Feuerwehren, die Bundeswehr und das DRK erfolgte! Es wurde erlebt, was es heißt:
Wir sind ein Volk
. Dies ist
unser
Land. Wir haben
eine
Heimat, hier und dort. Wir sprechen eine Sprache in vielen Dialekten. Wir gehören zusammen!
    Wie schnell wurde die Zusammenarbeit in den Krisenstäben verzahnt. Auch wenn es unvermeidbare Konflikte und Kompetenzgerangel gab – »lagen doch die Nerven blank« –, waren die Gefahren in der Schnelle der Zeit doch schwer kalkulierbar. Maßnahmen waren in ihren Wirkungen kaum absehbar. Musste evakuiert werden und wann? Sollte geflutet werden? Was? Mit welchem Effekt? Wer übernimmt die Verantwortung? Auch alte Reflexe kamen hier und da zurück: »Die Fremden« wüssten hier nicht Bescheid und wären bereit, »uns« zu opfern … Eine DDRtypische Mischung aus Opferwahn, Gerüchtegläubigkeit und Erfindungsreichtum bei deren Verarbeitung sowie schnelle Schuldzuweisung an »die da oben«, diagnostizierte der Wittenberger OB nach zwei Dammbrüchen. Die
Flut
führte auch zu Wut, und die
Wut
suchte sich einen Adressaten und wurde ungerecht. Nun aber brauchte es
Mut
. Und nun kam Mut. Der »Solidarpakt gegen die Flut« blieb auf die Länge der Zeit erlebbar. |126| Jedenfalls wurde die Mauer, die immer noch Schatten wirft, an den Deichen gänzlich überwunden. Das Grundgefühl mancher Ostdeutscher – abgeschrieben, abgehängt, abgewertet zu sein – verschwand, weil viele, viele Tausende gekommen waren und ganz selbstverständlich halfen. Sie wurden freudig-überrascht begrüßt, mit vielen Worten und Gesten bedankt. Schließlich
wollten
sie nichts – als helfen! Und sie konnten was. Und sie setzten sich ein, als ob’s das Eigene wäre. Was da in angestrengter Tag- und Nachtarbeit beschützt wurde, immer unter dem Vorbehalt, ›es könnte alles nichts genützt haben‹, war
unser Land,
geschützt mit Millionen Sandsäcken. Und das wird im individuellen wie im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bleiben: dass man sich in der Not auf die Hilfe anderer – und dies nicht in Ost und West gespalten! – verlassen kann. Und vonseiten der Helfer wird im Gedächtnis bleiben, dass man in höchster Not dabei war, sich der Gefahr entgegenstellte und sich selbst in Gefahr brachte, um die Mitmenschen, die Kultur und die Natur, die Städte und die Dörfer vor (noch) größerem Unheil zu bewahren.
    Während der Flut schrieb ich in einem Artikel: »Vielleicht brauchen wir solche ›paradoxen Interventionen‹ wie diese Katastrophe, um zu wissen, wer wir sind und wie sehr wir zusammengehören, aufeinander angewiesen sind und unsere Lebensgrundlagen im lokalen und globalen Kontext zu bewahren haben. Auf längere Sicht gilt es, etwas von jener Energie und vorurteilsfreien Zusammenarbeit, jener Verständnis- und Einfühlungsfähigkeit, jener Solidarität und Akzeptanz, jenem Einfallsreichtum und Zukunftswillen (samt dem Mut zur Einsicht in nötige Veränderungen) aufzubringen. Das wäre der schmerzlich-produktive
Ruck der

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