Lass Es Gut Sein
Aber wenn es um etwas gegangen wäre, wir hätten wohl bald Krieg geführt …
Ich stelle vier Fragen, die jeder für sich beantworten kann:
Haben Sie Feinde (gehabt)?
Mit welchen Gefühlen haben Sie Feinde?
Was wünschen Sie ihnen?
Können Sie (Ihre) Feinde lieben?
Ich musste die Erfahrung machen:
Die
Feinde kann ich lieben, nur
meine
Feinde nicht. Die Menschheit liebe ich auch; »diesen Kuss der ganzen Welt«. Aber die Menschen! Wenn nur die Menschen nicht wären, könnte ich auch die Menschheit lieben. Und wenn es nur die Feinde an sich gäbe, wäre alles nicht so schlimm. Ich ertappe mich, wie ich anderen, die »richtige« Feinde haben, rate, sie sollten doch mit diesen ein bisschen netter umgehen.
Wer von der Feindesliebe redet, ohne einmal reale, gar mörderische Konflikte erlebt zu haben, redet wie ein Blinder von |134| Farben. Er hat noch nicht erlebt, was Feinde aus uns und was wir aus unseren Feinden machen, wenn sie uns zu Feinden gemacht haben. Wer keine konkreten Feinde hat, kann sich den Luxus der Feindesliebe leisten, für den ist das, was Jesus in der Bergpredigt provozierend sagt, »kein Problem«. Wie anders soll denn aber Frieden werden, wenn nicht Friede mit dem Feind wird? Wir Menschen machen meist Friede
ohne
den Feind, indem wir alles tun, dass er verschwindet, unschädlich gemacht oder liquidiert wird. Das ist nicht Friede – das ist Siegfrieden. Die wohl schwerste Herausforderung bei unserem Kampf gegen das Böse ist: nicht selber des Bösen zu werden. Das ist das, was das Neue Testament in vielen Variationen einzuschärfen versucht. Martin Luther hat den Konflikt mit großer Ehrlichkeit in ein Gebet gefasst:
Siehe, mein Herr Christus,
da hat mir mein Nächster Schaden zugefügt.
Er hat mich in meiner Ehre gekränkt.
Er hat sich an meinem Eigentum vergriffen.
Das kann ich nicht ertragen.
Darum wünsche ich ihm den Tod an.
Ach mein Gott, lass dir das geklagt sein!
Eigentlich sollte ich ihm verzeihen,
aber ich kann es leider nicht!
Siehe, wie ich so ganz kalt, ja so ganz erstorben bin.
Ach Herr, ich kann mir nicht helfen!
Da stehe ich nun; machst du mich anders,
so kann ich nach deinem Willen
und nach deiner verzeihenden Liebe handeln.
Wenn nicht, dann muss ich bleiben, wie ich bin.
Ich kann nicht anders.
Wie verhindert man aggressive Handlungsweisen, von denen man weiß, dass sie einen selber zerstören? Es geht darum, sich aus der Spirale von Hass, Gewalt und Gegengewalt rechtzeitig auszuklinken. Wer Konflikte menschlich bestehen will, muss möglichst präventiv handeln. Wer die destruktiven Hassantriebe nicht vorsorglich durcharbeitet, wird im Ernstfall noch schneller |135| zum Opfer seiner Negativgefühle. Das heißt, darüber nachzudenken, was in mir steckt und was in mir weckbar ist. Das heißt auch, so zu leben, dass ich mir Feinde zu Freunden mache und alles dafür tue, dass Freunde nicht zu Feinden werden und ich nicht so werde, wie meine (abschreckenden) Feinde sind. Der Feind repräsentiert für uns alsbald das Böse – und für ihn sind
wir
das Böse. Das ist der Teufelskreis, aus dem auszubrechen ist. Schwer genug. Aber genau das ist es, was Jesus uns im Verzicht auf den Gegenschlag zumutet.
Kain und Abel in mir (an)erkennen
In mir stecken ein Räuber
und
ein barmherziger Samariter. Ich kenne viele Leute, die noch nichts von dem Räuber in sich wissen – dem, der sein Recht mit Macht und notfalls ohne Recht durchsetzt. Und andere wollen nichts von dem mitfühlenden Menschen in sich wissen, weil sie nicht als weich gelten wollen. Was steckt in jedem von uns? Ein treu sorgender Familienvater
und
– zumal auf Befehl! – ein Exekutor des Vaterländischen oder der »historischen Notwendigkeit«. Das Abraham- oder Milgram-Experiment wurde gemacht, als der Vietnamkrieg tobte und die US-Amerikaner sich nicht erklären konnten, dass liebenswürdige Familienväter nach kurzer Zeit in diesem barbarischen Krieg gegen »den Vietcong« alle zivilisatorischen Maßstäbe vergessen hatten und sich neben abgehackten Köpfen von Vietcong fotografieren ließen. Das waren dann keine Menschen mehr, sondern Vietcong. Sie wurden auch in deutschen Nachrichten so bezeichnet. Wie konnte das alles geschehen?
Das Abraham-Experiment ergab, dass 95 Prozent der Menschen bereit sind, im Interesse einer guten Sache (wenn ihnen das als notwendig eingeredet wird) Menschen auf Anweisung oder Befehl zu quälen; nur 5 Prozent sagten: »Nein, das mache ich nicht mit«.
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