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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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»Sympathie« mit den anderen, das heißt zunächst nichts anderes als Mit-Leiden, »sympathein«.
    »Solidarität« ist ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Dies wurde gerade durch die Katastrophe als ein globales Gefühl von Zusammengehörigkeit geweckt.
    Die Bilder vom Erdbeben aus Pakistan vom Oktober 2005 aber waren für den Seelenhaushalt von uns Fernerwohnenden einfach zuviel. Man konnte nicht endlos virtuell angerührt sein und wurde geneigt, abzuschalten: das Medium und das Mitempfinden. Hatte neun Monate zuvor der Tsunami noch so etwas konstituiert wie eine globale Solidaritätsgemeinschaft, wo wir plötzlich
eine
Welt wurden, so überstürzten sich 2005 die Katastrophenmeldungen – und die Katastrophenbilder –, ob vom Verjagen und Ermorden im Südsudan, von täglich vielen Toten bei Selbstmordattentaten im Irak, von Hunderten in der Sahara zum Verdursten ausgesetzten Flüchtlingen. Hurricans in der Karibik und in den USA, Beben im Iran und Überschwemmungen weltweit. Immer wieder kommen uns verzweifelte und flehentliche Gesichter fern-sehend nahe. Menschliche Anrührung meldet sich. Unser unverdientes Glück,
nicht
betroffen zu sein, weckt spontane Hilfsbereitschaft und hinterlässt zugleich Lähmungs- und Ohnmachtsgefühle. Plötzlich finden wir uns merkwürdig
un
berührt vor – und eigenes Unberührtsein macht uns ratlos.
    Alle Wohltätigkeitsorganisationen rufen immer wieder zu Spenden auf. Wer ganz redlich auf sich selbst sieht, wird indes spüren, wie die Mitgefühlsfähigkeit und Hilfswilligkeit mit der Verkürzung der Katastrophenintervalle abnehmen, wie sich eine Dumpfheit ausbreitet, die in Abgestumpftheit und Gleichgültigkeit mündet. Wir können doch nicht täglich das ganze Elend der ganzen Welt an uns rankommen lassen!
    Zugleich melden sich Fragen, die an den daran unschuldigen Opfern vorbeisehen: ob also der amerikanische Präsident sich genügend um sein eigenes Land kümmert, ob das arme Pakistan sich wirklich eine Atombombe leisten sollte u.s.f. New Orleans wurde für die USA selbst zum Menetekel.
    |130| Und wir sind – nicht zuletzt publizistisch – weit mehr mit den kleinen politischen Beben in Berlin beschäftigt als mit dem großen Beben in Kaschmir oder mit der versunkenen Blues-Stadt.
    Die Gefühle verwirren sich angesichts des schroffen Nebeneinanders von Unvereinbarem: Wenn wir am Fernseher einmal durchzappen oder wenn in einer großen Tageszeitung auf der linken Seite ein großes Bild vom Trümmerfeld der Kaschmirstadt Balakot samt Detailaufnahmen von Opfern zu sehen ist und auf der rechten Seite unter der Überschrift »EINFACH ANZIEHEND!« ein Karstadt-Model einen rosa Kaschmir-Pullover anbietet. Genau das ist es: Das unbezifferbare Elend ist weit weg – der 29,95 €-Pullover sehr nahe. Wir wissen, dass bei diesem Preis weder die Rohstoff-Lieferanten noch die Näherinnen angemessen bezahlt werden können. Unsere Empathiefähigkeit erreicht schnell ihre Grenze.
    Gerade das Unfassbare, das so Aussichtslose kann zum schnellen Sich-Abwenden und Weg-Sehen führen. Und doch ist es in der
einen
Welt bitter nötig, dass wir einander beistehen in der Not – so gut wir können, uns einfach hineinversetzend in die anderen – fühlend, wie sehr wir auf Hilfe warten würden, wären wir betroffen.
    Die Friedensbrücke zwischen Indien und Pakistan wurde zerstört. Sie muss schnell wieder aufgebaut werden, auch mit unserer Hilfe, unterstützend den Erkenntnisruck in der Katastrophe: Erzfeind Indien bietet Pakistan Hilfe an. Hilfe in der Not vermag politische Gräben zu überbrücken, emotionale Annäherung zu befördern. Das macht Katastrophen keineswegs sinnvoll; aber sie rütteln wach, den
natürlichen
Katastrophen nicht unentwegt
menschengemachte
hinzuzufügen. Jedes Mitgefühl ist viel wert. Jeder Euro zählt. Jeder Ferne ist nahe – als Mensch unserer Hilfe würdig und wert. Sym-pathie meint Mitleiden. Es gehört zur Grundsubstanz aller großen Religionen und Humanismen. »… denn alle Kreatur braucht Hilf ’ von allen«, schärfte Bert Brecht ein. Die Kreatur, die heute und morgen Hilfe von uns allen braucht, kroch aus den Trümmern |131| pakistanischer Dörfer und Städte. Eins ist sicher in dieser unsicheren Welt: Schon übermorgen wird irgendwo wieder Hilfe nötig sein von denen, die Hilfe geben können – sei es global wie beim Tsunami oder beim Erdbeben in Pakistan, sei es national wie während der Elbeflut oder sei es im ganz alltäglichen Umgang mit den

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