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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Damals wurde eine Debatte darüber ausgelöst, ob die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg einmalig in der Welt seien. Was von Deutschen angerichtet wurde, bleibt |136| wohl als eklatanter Zivilisationsbruch unvergleichlich. Zugleich erkennen wir, dass Gewalttaten, zumal im Krieg, eine Gefährdung sind, vor der
wir
stehen. Die Haut der Zivilisation ist dünn, sehr dünn.
    Kain und Abel – das sind wir. Abel ist der Arglose schlechthin. Abel nennt man heute die Blauäugigen, die Warmduscher, die Gutmenschen. Ich kenne einige Zyniker, die meinen, dass alle, die noch irgendetwas für gut und richtig halten, solche Gutmenschen seien. Sie selber scheinen nach der Devise zu leben: Ich Schwein, du Schwein, alle Schweine. Was willst du noch? Du weißt nur noch nicht, dass alle Schweine sind!
    Abel ist in der biblischen Geschichte tatsächlich gefährlich arglos. Er denkt, es ginge alles klar. Der Rauch seines Opfers steigt zum Himmel auf. Was soll er sich Gedanken machen?! Muss sich nicht Abel auch Gedanken um Kain machen, damit Kain nicht Kain wird, damit z. B. der in seiner Ehre Gekränkte, Zurückgesetzte, der Unterlegene oder nur kulturell anders Geprägte eine gleichberechtigte Chance hat?
    Kain – das ist die Geschichte einer Selbstverfinsterung. Kain krümmt sich in sich selbst, sieht nicht mehr auf, wird seiner destruktiven Antriebe nicht mehr Herr. Da fragt ihn die Stimme Gottes, die Stimme des Gewissens: Kain, warum bist du so finster? Sieh, die Sünde lagert vor deiner Tür wie ein wildes Tier. Du aber herrsche über sie. Kain ist aber schon – wie Martin Luther das ausgedrückt hat – ein homo incurvatus in se (der in sich selbst verkrümmte Mensch).
    Was ist in uns weckbar? Diese Frage müssen wir uns als Menschen selbst stellen, wenn wir erklären wollen, was Feindschaft ist, wie Feinde zu Feinden werden und wie Feindschaft überwunden werden kann. 1933 bis 1945 im Volk der Dichter und Denker: welche Hassverblendung, welche Revanche- und Rachegelüste, welche Siegesräusche … Wenn ich meine deutschen Mitbürger ansehe, kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, was aus diesem, meinem Volk für ein Unheil kommen konnte. Wenn ich das Tagebuch meines Vaters aus dem sogenannten Russlandfeldzug von |137| 1942 lese, bin ich erschüttert, was er alles mit ansehen musste und was von Deutschen angerichtet worden ist. Ich kann wahrlich froh sein, dass ich nicht in seiner Zeit gelebt habe. Aber das ist nicht nur Gnade. Das ist eine Verpflichtung!
    Wenn nur so wenige dem Verbrechen auf Befehl wirklich widerstehen, müsste ich – statistisch gesehen – davon ausgehen, dass ich nicht zu den wenigen gehören würde. Das zu erkennen ist hart, aber unausweichlich. Wie schwer es fällt, sich nicht herauszureden, Ausreden oder Rechtfertigungen zu suchen, zeigte 2003 wieder der große Zoff bei der Wehrmachtsausstellung in Halle an der Saale. Die Nazis, die SS waren verbrecherisch, aber die Wehrmacht war sauber. So hörte man es immer wieder. Das ist genauso falsch wie die Denunziation
aller
Wehrmachtsangehörigen als Verbrecher. Ich hatte die Ausstellung vor vielen Jahren in Potsdam besucht. Sie hatte mich auch erschüttert, aber nicht besonders überrascht, weil ich längst das Tagebuch meines Vaters kannte.
    Das Dunkle, das Böse, das Verwerfliche nicht von sich und in sich abspalten und es nicht auf andere projizieren, sondern es mutig bekämpfen, bloßlegen, minimieren und umformen. Mein eigener Feind bin ich, solange ich nicht lerne, mich mit mir anzufreunden. Mich mit mir anzufreunden heißt auch, mutig meinen eigenen Abgründen zu begegnen. Ich nenne ein Beispiel aus der »Washington Post« vom 5. Mai 2004. Die Zeitung, die die Folterfotos von Abu Ghuraib als erste nicht beschönigte und auch das Wort Folter nicht mied, schrieb: »Es ist eine Lüge in Zeiten des Krieges, dass der Ruhm dem ganzen Lande gehöre, die Niederlagen und Grausamkeiten aber einzelnen Übeltätern. Diese Fotos – das sind wir.«
    Es ist unglaublich hart, das auszusprechen. Aber nur das hilft. Alles, was du in dir verleugnest, das versuchst du alsbald auf andere zu projizieren. Deshalb brauchen wir Menschen wahrscheinlich immer ein paar Feinde, einfach aus einem fatalen Psychohygienebedürfnis heraus. Und was macht der Feind mit mir? Er beurteilt mich und mein Volk genauso wie ich ihn. Versuche in dir nicht das abzuspalten, was du deinem Feind zuschreibst. |138| Sonst könntest du sehr

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