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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Mitmenschen.
    Mit Verlierern umgehen
    Jeder ist fehlbar. Jeder braucht gute Freunde, die einem aufhelfen, wenn man gefallen ist. Wer noch nicht in Versuchung gekommen ist oder gebracht wurde, soll in seinem Urteil über andere etwas vorsichtig sein, zumal bei Verlockungen der Macht, des Reichtums oder der Prominenz. »Ich habe Leute sich ändern sehn, das war manchmal nicht mehr schön«, dichtete Wolf Biermann, und es war auch bei ihm »manchmal nicht mehr schön«.
    Zumal unsere von medialer Vermittlung beherrschte Welt braucht offenbar ihre wechselnden Stars, braucht Leute, die auf Podeste gehoben werden, auf Treppchen stehen, sie kürt die Lieblinge der Nation, sucht die Politiker mit den höchsten Sympathiewerten oder solche, die am besten angezogen sind. Was gilt da noch,
wofür
sie stehen – es kommt darauf an, wie sie
da
stehen. Stars mit Superleistungen für die Identifikation und Stars mit kleinen und großen Skandalen für die tägliche Unterhaltung beherrschen die Schlag-Zeilen. Und nachdem sie aufgebaut worden sind, müssen sie auch wieder heruntergerissen werden, möglichst mit einem Knall, der sich für die erste Seite der Zeitung, für die Balkenüberschrift oder als erste Meldung in den Nachrichten eignet.
    Die Mehrheit der Menschen liebt die Gewinner, sie verachtet die Verlierer und straft diese noch zusätzlich ab. Am anschaulichsten wird dieses Spiel bei »Personen des öffentlichen Lebens«: Sportidolen wie Jan Ulrich, Steffi Graf, Dieter Baumann oder Christoph Daum, Politikern wie Rudolf Scharping oder |132| Reinhard Höppner, Künstlern wie Konstantin Wecker, Roy Black und Harald Juhnke. Das Muster wird immer wieder angewandt: Eine ganze »Klasse« aus der DDR sah sich auf der Bank der Verlierer, der »unberührbar« Gewordenen. Jeden Tag gibt es auf Seite 1 der Zeitung für Analphabeten eine Rubrik »Verlierer« und »Gewinner« – mit Passbild.
    Ob man wirklich Freunde hat, zeigt sich erst in der Not; vor allem die »da oben« spüren bei ihrem Fall, von wie vielen Schmeichlern sie umgeben waren und wer ihre wirklichen Freunde sind. Da sortieren sich selbst die politischen Lager neu; bisweilen findet man verständnisvolle Menschen in der Niederlage dort, wo man sie nicht vermutet hatte. Verlierer verbittern, vereinsamen, verstummen, werden depressiv oder in ihnen staut sich Aggressivität, die Rachegefühle auslöst und über destruktive Phantasien in destruktive Handlungen mündet. Gestrauchelt, gestürzt, gefallen, verfehlt, verdächtigt. Vom Pech verfolgt, in Sackgassen gerannt, die Bodenhaftung verloren, zum Abschuss freigegeben, in eine Falle gelockt, einer Versuchung erlegen. Weggetretene, Abgewählte, Rausgemobbte, Runtergeredete, Abgedrehte, Rausgeekelte, Demontierte, Abgestrafte. Bestochene, Übergeschnappte, Ge- und Verblendete, Versessene. Nun am Boden. Woher neue Selbstachtung nehmen, wie die Kraft zum Neuanfang finden?
    Die Humanität einer Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit ihren Verlierern umgeht – und da geht es nicht nur um die große Welt der Prominenten, Schönen und Reichen, denn
winners
und
losers
gibt es überall, und wir »Normalen« sehen kaum, wie gefährdet sowohl die
winners
wie die
losers
sind. Was am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002 geschah und inzwischen schon so fern scheint, bleibt ein so erschreckendes wie aufrüttelndes Signal für den alltäglichen Umgang mit Verlierern in der Konkurrenzgesellschaft, in der Machtausübung so grobe wie subtile Formen angenommen hat. »Einander achten und aufeinander achten« bildet einen unauflöslichen Zusammenhang. Dieser Satz klingt rückblickend geradezu wie ein Vermächtnis des großen Menschenfreundes Johannes Rau.

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    |133| Ohne FRIEDEN ist alles nichts
    Haben Sie Feinde?
    Ich bin mit einer kleinen Maschine von Tempelhof nach Friedrichshafen geflogen. Der Mann neben mir hatte den Platz bereits raumgreifend besetzt – mit seiner Zeitung. Versuchen Sie dann einmal, jemanden ein Stückchen zurückzudrängen. Sie wollen schließlich auch lesen, fuchteln aber in der engen Reihe rum, weil Sie Ihre Arme am Körper halten müssen. Während ich krampfhaft überlegte, wie sagst du ihm, dass wir die Lehne doch teilen könnten, merkte ich, wie die Wut langsam in mir hochstieg, weil er seinen Arm immer weiter herüberschob und ich mich immer beengter fühlte. Und plötzlich schien es so, als ob ich
ihn
einengen würde … Hier ging es um nichts, und das Ganze dauerte auch nur anderthalb Stunden.

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