Lass Es Gut Sein
erschrecken, wie sehr du ihm schon gleichst.
Kritische Selbstreflexion ist noch keine ausreichende Barriere gegen tödliche Vereinfachungen, aber sie ist eine der wichtigen Voraussetzungen, um sein eigenes Tun und Lassen kritisch zu bewerten. Ein weltpolitisches Grundproblem ist heute, dass an der Spitze der Welt ein Mann steht, der zur Selbstkritik und -distanz kaum in der Lage scheint. Für ihn ist die Welt ganz einfach, nämlich eingeteilt in Gut und Böse, Willfährige und Feinde. Er schärft seinen Mitarbeitern ein, er wolle »keine Politik«. Politik hieße nämlich Differenzierung. Er will ganz einfach wissen, wie es ist: so oder so.
Freund oder Feind – Hass macht alle blind
Der Staatsrechtler Carl Schmitt meinte in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass das Freund-Feind-Denken das Prinzip von Politik überhaupt sei. Seine Thesen sind in der Nazizeit ausgiebig missbraucht worden und haben in der Weltpolitik seit dem 11. September wieder Hochkonjunktur. Dem Feindschema und dem daraus erwachsenden Hass zu widerstehen heißt zunächst, ein reflexiver Menschen zu bleiben, der stets vor sich selbst auf der Hut bleibt, sich nicht von Stimmungen treiben lässt, schon gar nicht von Mehrheitsstimmungen und Massenhysterie, die alles »auf die Feinde lenkt« und dem Feind alles Böse zutraut, sich selber alles Gute zuschreibt.
Die Weltherrschaftsansprüche der jetzigen amerikanischen Administration sind totalitär. George W. Bush verlangt von allen Freunden, dass sie ganz an seiner Seite stehen: »Wer nicht mit uns ist, der ist mit den Terroristen«. Das ist geforderte Vasallentreue, keine Freundschaft. Das ist Unterwerfung, keine Partnerschaft. Man muss das Kritikwürdige am Freund ihm sagen und es konkret benennen können. Die Wildsau am Spieß konnte im Sommer 2006 nicht darüber hinwegtäuschen, wie groß die Distanz der Mehrheit der Deutschen gegenüber diesem Kriegspräsidenten |139| ist. Aber er bekam davon nichts zu sehen. Als »Supergau« für die Sicherheit wurde ein Plakat bezeichnet, das kurzzeitig am Kirchturm gehangen hatte: »No Nukes – No War – No Bush!« Erst Offenheit macht aber Freundschaft aus.
Das Bedenkenswerte beim Feind zu sehen ist ebenso wichtig, wie dessen Beweggründe zu analysieren. Nicht alles Üble soll man bei ihm ablagern. Solche Mechanismen aber erleben wir als Individuen, und das funktioniert häufig in der Politik ganz genauso – bis in die Parteien hinein, nicht nur
zwischen
den konkurrierenden Parteien, die sich in ihrer Kritik nichts ersparen.
»Der Mensch ist ein Seil, gespannt über dem Abgrund von Tier und Übermensch« – so resümiert Friedrich Nietzsche. In jedem stecken ein Liebender und ein Hassender, ein Sanftmütiger und ein Wütiger. Wir sind ein Seil, gespannt über einem Abgrund – passiv und aktiv. Wenn ich den Gouverneur von Texas, der 2000 auf zweifelhaftem Wege Präsident geworden war, sprechen höre, fällt es mir meist sehr schwer hinzuhören, nicht nur hinzuhören, sondern auch mit ansehen zu müssen, wie all das, was er tut, auf optimale Wirkung hin einstudiert ist: seine Gestik, seine Mimik, seine Rhetorik. Mir fällt es schwer, ihn anzusehen. Ich muss über mich nachdenken. Fängst du schon an, ihn zu hassen? Ich habe starke Abwehrgefühle, seit ich weiß, wie seine Reden zustande kommen und welche Redefiguren aus welchem Denk-Trust kommen, wie es z. B. zu der problematischen Metapher »Achse des Bösen« gekommen ist.
Mir wird unheimlich. Schon länger. Ich kenne ein paar Leute, denen es ähnlich geht. Aber ich muss aufpassen, dass ich mich nicht auf ihn, sein Gesicht, seine Sprache, seine einstudierten Posen des patriotischen Machtgehabes fixiere. Mir fällt es schwer, wenn Bush z. B. als Tom-Cruise-Performer im Kampfanzug aus seinem Kampfjet springt und sich als Sieger feiern lässt. So geschehen am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger »Abraham Lincoln«. Da landet er als ein Held am Seil eines »Shock and Awe«-Bombers. Er springt medienwirksam-sportlich aus dem Cockpit und zeigt alles, was er hat, einschließlich seines hervorgehobenen |140| Gemächtes. Perfekt inszenierte Macht der Bilder. Dann hält er eine seiner »freien« Reden, die links und rechts in den Monitoren ablaufen. Er spricht von der Befreiung des Irak. Kein Wort der Trauer über die in einem Krieg zwangsläufig umgekommenen unschuldigen Opfer bei den Gegnern und in den eigenen Truppen. Hinter ihm stehen professionell aufgereiht junge Soldatinnen und
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