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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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fürchten, wie Susan Sontag. Wenn man so fragt, rechtfertigt man nicht, was am 11. 9. an Schrecklichem geschehen war. Wenn man aber diese Frage nicht stellt, verschärft man das Problem und gerät in die Sackgassen bloßer Vergeltung.
    So wie Freundschaft blind macht, blind für die Kritikwürdigkeit des Freundes, so macht Feindschaft blind für das Bedenkenswerte, das in meinem Feind und seinem Lebensinteresse steckt. Freundschaft macht blind für die dunklen Seiten – auch meines Freundes. Die Tapferkeit vor dem Freund ist dem abverlangt, der einen ehrlichen, tragfähigen Frieden will. Im
Freitag
vom 7. Mai 2004 erklärte Willy Wimmer in einem Interview: »Heute besteht die Gefahr, dass sich ein Volkskrieg im Irak entwickelt und zur Vorstufe eines großen schiitischen Imperiums wird … Als die Amerikaner in den Irak hineingegangen sind, haben sie in diesem Raum unwiderruflich die Büchse der Pandora geöffnet.« Das sagt Wimmer, der lange Zeit der Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, also für multilaterale Vereinbarungen eingestanden ist und es gewagt hat, sich zu seinen Freunden in seiner Partei (der CDU) quer zu stellen. Nach seinem Rat an die US-Regierung gefragt, empfiehlt er, |145| wieder »den Weg des Ausgleichs einzuschlagen. Wieder berechenbare transatlantische Beziehungen herzustellen. Wieder im Verhältnis zu Indien, zu China oder zu Russland auf Kooperation zu setzen. Wir bekommen keine globale Sicherheit, wenn nationale Interessen nicht innerhalb der multilateralen Einrichtungen, die wir dafür haben, abgeglichen werden.« Interessen abzugleichen und dafür einzutreten ist Sache jedes Subjekts der Weltbürgergesellschaft, also jeder Frau und jedes Mannes. Die Summe dieser mitverantwortungsbereiten Subjekte ist als Weltöffentlichkeit die dritte große Kraft, auf die Immanuel Kant in seiner Vertragsfriedensutopie »Zum ewigen Frieden« vor über 200 Jahren gesetzt hat. Was individuell zwischen Menschen gilt, das trifft auch kollektiv-strukturell zu – und umgekehrt.
    Dem Hass widerstehen – Frieden machen
    Ich durfte einen kämpferisch-sanften, so nüchternen wie mitfühlenden
Peacemaker
kennenlernen. Er hat mich tief berührt. Täglich zieht er viel Hass auf sich, gerade weil er ein Liebender geblieben ist. Und er versucht, (Feindes-)Liebe in Politik zu übersetzen. Es ist Uri Avnery von Gush-Shalom in Israel. Er versucht mit all seiner Kraft, sich mit den Palästinensern fair zu einigen, und kämpft für die Rechte der Palästinenser innerhalb des israelischen Parlaments. Er versucht unablässig, die israelisch-palästinensische Konfliktkonstellation auch mit den Augen der Palästinenser zu sehen, deren Interessen und Gefühle beachtend. Dein Feind braucht Frieden. Dein Feind braucht ein Land. Dein Feind braucht einen Staat. Dein Feind will leben und muss leben dürfen. Mit solcher Haltung zieht er viel Feindschaft, auch Verachtung und Häme auf sich. Auf der palästinensischen Seite hat er Verbündete wie z. B. die Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser.
    Wo Gewalt und Hass sich aufschaukeln und jede Gewalttat nur noch als legitime Rache mit künftiger Abschreckungswirkung verstanden wird, da wird jeder zum Nestbeschmutzer |146| gestempelt, der sich der wogenden Volksstimmung widersetzt. Die mutigen Friedensmacher
mit
dem Feind ziehen viel Schmach auf sich. Wer sich den Stimmungen, die allzu verständlich sind, nicht ausliefert, ist eigentlich klug, denn er weiß: Wenn ich mich Antistimmungen überlasse, werde ich nur das verschlimmern, was ich beseitigen will – die Feindschaft und den Hass nämlich. 1953 sagte dem 21-jährigen – zu sieben Jahren Haft verurteilten – Jiří Stránský ein mitgefangener älterer tschechischer Lyriker in einem Gefängnis der Stalin-Ära: »Bewahre dich vor dem Hass auf alle, die daran schuld sind, dass du unschuldig im Gefängnis leiden musst. Lass den Hass nicht in dich hinein. Du wirst sein erstes Opfer. Der Hass zerstört zuerst dich selbst.« Und Jiří konnte sein Leben lang das Wunder vollbringen, nicht zu hassen.
    Eine ebenso fast übermenschliche Leistung des Nichthassens hat Nelson Mandela (nach 27 Jahren verschärfter Haft!) vollbracht und so sein Land ohne Bürgerkrieg in die Befreiung geführt – in eine Demokratie, in der heute noch Schwarze bis spät nachts, ja bis frühmorgens vor den Wahllokalen Schlange stehen, um ihre Stimme abgeben zu können. Sie haben in Erinnerung behalten, was es hieß, Abgespaltene,

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