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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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haben erfahren, dass es keine Konzeption für den Tag »nach Saddam« gab und durch die anhaltende Besatzung der Amerikaner ganz neue Konflikte aufbrachen – in diesem nachkolonialen Kunstgebilde »Irak«. Die Unterhöhlung der Autorität der gewählten, alle drei großen Volksgruppen umfassenden Regierung wird mit jedem Bombenanschlag dramatischer.
    Jetzt verbindet viele Iraker die gemeinsame Wut auf die Besatzer, die in diesem Lande als die neuen Herren empfunden werden und sich auch so aufführen. Demütigungen haben Langzeitfolgen – nicht nur die Folter, sondern die zugleich beabsichtigte Demütigung der Gefolterten – auf die häufig nach Razzien Einsitzenden. Leidtragende sind insbesondere unschuldige Iraker und junge Amerikaner, die zu Militärmonstern ausgebildet wurden, und Militärstrategen, die nach ihrem Rausch der Unverwundbarkeit und eines »Shock and Awe«-Blitzkrieges ihre Verwundbarkeit bitter erleben müssen.
    Wenn erst einmal Streit oder Krieg begonnen hat, bekommen sie eine schreckliche Eigendynamik. Wer Unrecht erlitten hat, möchte Unrecht sühnen, vergelten, zurückschlagen; Trauer, Wut, Verzweiflung münden in Hass. Hass generalisiert. Hass entlädt sich, wird aber nicht wirklich befriedigt durch die Entladung oder Genugtuung, weil er Ursache wird für neuen Hass. Hass zerfrisst. Hass macht nicht frei. Hass ist irrational und deshalb rational oder argumentativ nicht auszuhebeln, moralisch nicht aus der Welt zu schaffen. Hass wird zu einer Daseinsweise, indem der Hassende mit seinem Hass geradezu identisch wird, wobei er alles Böse in sich selbst abspaltet und auf das Hassobjekt |143| projiziert. Den Hass wieder loszuwerden ist eine so schwere wie langwierige Aufgabe. Die Menschheitsgeschichte ist voll von destruktiver Kraft des Hasses, bis zur Vernichtungslust gesteigert: Völkermord im »entdeckten« Amerika, »Magdeburgisieren« im Dreißigjährigen Krieg, der Holocaust an den europäischen Juden, Völkermorde in Armenien, im Sudan, in Kambodscha, Ruanda, Srebrenica, Grosny.
    Hass hat Ursachen, aber er verselbständigt sich und nährt stets den Hass der jeweiligen Gegner. Hass wirkt ansteckend. Wer sich ihm entzieht, sobald ein ganzes Volk in Kriegsrausch gekommen ist – entweder in den Siegesrausch oder in den Rausch der Vergeltungsphantasien nach erlittenem Unrecht –, bekommt es als »Agent des Feindes« mit »den Seinen« zu tun.
    Tapferkeit vor dem Freund
    »Es ist ein paar Jahrzehnte her, da war Amerika ein Garant für Demokratie und Menschenrechte. Auch heute weisen die USA der Menschheit noch den Weg. Es ist der Weg ins Verderben. Heuchelei, Arroganz und Korruption bestimmen das Gebaren der Herrschenden und das Alltagsleben der Bürger. Amerika taumelt, bockt und keilt wie Frankensteins Monster, blind für die Zerstörung, die es bewirkt. Oft laufe ich am Capitol und am Weißen Haus vorbei, den Monumenten unseres einst so großen Staatswesens, und ich kann mir nicht helfen, ich empfinde Trauer und Bestürzung beim Gedanken an das, was aus meinem Land geworden ist.«
    Am 17. August 2001 stand das im Magazin der
Süddeutschen Zeitung
, geschrieben von Jacob Heilbrunn, einem Kolumnisten der
Los Angeles Times
. Im August 2001!
    Heilbrunn urteilte als ein trauriger Patriot, nicht als ein Hasser. Manchmal muss man über sich selber oder über sein Land und die Gemeinschaft, zu der man gehört, das sagen, was man sagen muss – aus der Traurigkeit des Wahren kann wieder etwas Heilend-Kämpferisches werden.
    |144| Die entscheidende Probe hat die Weltmacht USA nach dem 11.   9.   2001 nicht bestanden. Diese Administration hat nach diesen furchtbaren Anschlägen grundfalsch reagiert, aber sie schuf – und fügte sich – Volksstimmungen der Vergeltung. Sie hat sich nicht die Fragen gestellt: »Warum hassen sie uns so? Und was können wir gegen diesen Hass tun?« Präsident Bush verkündete so selbstbewusst wie drohend: »Wir finden euch, wir schlagen euch, wir räuchern euch aus.« In jedem Volk kann ein Zustimmungsrausch fürs Draufschlagen leicht geweckt werden. Die Reaktion auf erfahrene Schläge kann »ultimativer Präventivschlag« heißen. Oder Zuschlagen, bevor »die Achse des Bösen« zuschlägt! Volkswut ist weckbar, in jedem Volk. Und Völker, die Opfer wurden, können zu Tätern werden, bis sie wieder zu Opfern werden. Gewalt führt in mörderische Kreisläufe.
    Diejenigen, die jene andere Frage stellten – »Warum hassen sie uns so?« –, mussten alsbald um ihr Leben

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