Lass Es Gut Sein
Ausgegrenzte, Minderbewertete und Minderberechtigte zu sein. Sie wissen die Demokratie nachhaltig zu schätzen.
Ich selber habe einen Menschen treffen dürfen, der viel durchgemacht hat, aber ein großer Liebender geblieben ist – Lew Kopelew. Was er durchlitten hat, hat er in seinem Buch »Aufbewahren für alle Zeit« aufgeschrieben. Warum war er lange in der Todeszelle der Sowjetarmee? Weil er sich gegen die Übergriffe sowjetischer Soldaten auf deutsche Zivilisten in Ostpreußen ausgesprochen hatte – er, ein Propagandaoffizier der Roten Armee auf dem Vormarsch, hinter sich verbrannte russische Erde, die Deutsche zurückgelassen hatten. Und Lew hat sich, nachdem er durch die Vermittlung Heinrich Bölls in die Bundesrepublik ausreisen durfte, unablässig für Menschen eingesetzt, die aus politischen Gründen in Gefängnisse gesperrt wurden, bis zum letzten Atemzug. Mit seinem alten Freund Wolf Biermann |147| überwarf er sich – weil jener seiner Meinung nach zu einem Hassenden geworden war.
Sebastian Haffner hat in seinen großartigen Erinnerungen »Geschichte eines Deutschen« geschrieben:
»Man will sich nicht durch Hass und Leiden seelisch korrumpieren, man will gutartig, friedlich, freundlich, nett bleiben. Wie aber Hass und Leiden vermeiden, wenn täglich das auf einen einstürmt, was Hass und Leiden verursacht? Es geht nur mit Ignorieren, Wegsehen, Wachs in die Ohren Tun. Und es führt zur Verhärtung aus Weichheit und schließlich wieder zu einer Form des Wahnsinns: zum Realitätsverlust, Sich-Abkapseln. Ich habe kein Talent zum Hass. Ich habe immer zu wissen geglaubt, dass man schon durch ein zu tiefes Sich-Einlassen in Polemik, Streiten mit Unbelehrbaren, Hass auf das Hässlichste etwas in sich selber zerstört – etwas, das wert zu erhalten und schwer wiederherzustellen ist. Meine natürliche Geste der Ablehnung ist Abwendung, nicht Angriff. Auch habe ich ein sehr deutliches Gefühl für die Ehre, die man einem Gegner antut, wenn man ihn des Hasses würdigt – und genau dieser Ehre scheinen mir die Nazis nicht würdig. Ich scheute die Intimität mit ihnen, die schon der Hass auf sie mit sich bringt; und als stärkste persönliche Beleidigung, die sie mir antaten, empfand ich nicht so sehr ihre zudringlichen Aufforderungen mitzumachen – die lagen außerhalb der Dinge, an die man irgendeinen Gedanken oder Gefühl wendet – als die Tatsache, dass sie mich täglich durch ihre Unübersehbarkeit zwangen, Hass und Ekel zu empfinden, wo doch Hass und Ekel mir so gar nicht ›liegen‹.«
Wie selten gibt es solche Seelenstärke, und wie wichtig ist es doch, dass wir in Konflikten bestehen und möglichst über solche inneren Mächte reflektieren, bevor sie uns überfallen – dass wir offene Ohren behalten, uns nicht verhärten, sowie der Hass uns überfällt, gerade wenn es Ursache für Hass gibt.
Albert Camus hat noch vor Ende des Krieges seine Landsleute vor dem Hass auf die Deutschen gewarnt. Und in einer Zeit, in der der Hass seine Urständ feierte – eben auf Grund des |148| Erlittenen –, hat Camus in der Résistance sich für Versöhnung mit den Deutschen eingesetzt. Es gehört immer besonderer Mut dazu, für den Feind ein Wort einzulegen und in einer angespannten Situation für Versöhnung zu wirken, dem Hass und dem Gegenhass entgegenzutreten. Václav Havel, der dreimal in Gefängnisse (für insgesamt fünf Jahre) geworfen wurde, hat in einer Rede in Oslo im August 1990 gesagt:
»Ein hassender Mensch begreift nicht das Maß der Dinge, das Maß seiner Möglichkeiten, das Maß seiner Rechte, das Maß seiner eigenen Existenz und das Maß von Anerkennung und Liebe, die er erwarten kann. Er verlangt, dass ihm die ganze Welt gehört, und die Anerkennung der Welt soll grenzenlos sein. Er versteht nicht, dass er das Recht auf das Wunder der eigenen Existenz und auf ihre Anerkennung durch eigene Taten erkämpfen und verdienen muss. Im Gegenteil, er betrachtet dieses als etwas automatisch ein für alle Mal ihm Gegebenes, von keiner Grenze Eingeschränktes und durch niemand jemals in Frage Gestelltes … Ich beobachte, dass alle Hassenden ihren Nächsten beschuldigen – und durch sie die ganze Welt –, sie seien böse. Im Hass steckt sehr viel Egozentrik und eine große Selbstliebe. … Goldgräberhass übt geradezu eine magnetische Anziehungskraft aus und kann auch Menschen in seinen Sog ziehen, die vorher scheinbar unfähig waren, zu hassen … und dem suggestiven Einfluss der Hassenden
Weitere Kostenlose Bücher