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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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toleriert und rechtlich abgesichert bleiben. Verantwortung ist aber immer auch Mit-Verantwortung. Die Forderung nach einer Solidargemeinschaft zielt ja nicht auf die totale Egalität aller Deutschen, vielmehr auf eine Balance der Interessen und die Verringerung der sozialen Unterschiede.
    Der soziale Frieden ist ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Relatives Wohlbefinden nützt allen. Luther schrieb 1542 an die Grafen von Mansfeld, es sei besser, reiche Untertanen zu haben, als selbst reich zu sein. »Denn selbst reich ist bald vertan; reiche Untertanen können allezeit helfen.« Er spielte auf die segensreiche Wirkung eines Volkswohlstandes an, statt eines immer weiteren Auseinanderfallens zwischen Armen und Reichen. Nicht zuletzt helfen die Arbeitslosen als Almosenempfänger den Reicheren dabei, ihr schlechtes Gewissen zu entlasten. Dazu war die Almosenpraxis ja schon im Mittelalter gut!
    Der Arm-Reich-Gegensatz verschärft sich jedoch weiter, wenn der Staat nur noch den Rechtsanspruch auf
Existenz
sicherung garantiert, aber
Wohlstands sicherung
für alle obsolet wird. Die Suppenküchen-Politik marginalisiert die Bezieher von »Transferleistungen« weiter. Durch bloßes Management des Elends rührt niemand an den Kern des Problems. Es ist also eine grundlegende Frage, ob man an dem mit Hartz IV eingeschlagenen Weg festhält – und die staatlichen Leistungen immer weiter zurückfährt – oder zu anderen gesetzlichen Regelungen kommt, die soziale Marktwirtschaft als ein globales Projekt versteht und daraus Politik mit Langzeitperspektive entwickelt.
    Meiner Meinung nach stünde die Einleitung eines Epochenwechsels an, wie ihn der Soziologe Oskar Negt in seinem Buch |28| »Arbeit und menschliche Würde« eindrücklich dargelegt hat. Arbeitslosigkeit muss langfristig als tiefgreifendes gesellschaftliches Problem begriffen werden, das viel mehr Dimensionen hat, als sich in den Kosten-Nutzen-Rechnungen erfassen lässt, die in der politischen und medialen Debatte dominieren. Oskar Negt beschreibt die Arbeitslosigkeit als Gewaltakt, der dem Menschen seine Würde nimmt. Ob das stimmt, kann jeder leicht an sich selbst überprüfen: Stellen Sie sich zuerst vor, wie vergiftet die Atmosphäre in den Betrieben sein kann, wenn klar wird, dass in der nächsten Zeit einige Angestellte oder Arbeiter »freigesetzt« werden müssen. Füllen Sie dann einmal diesen demütigenden 16-seitigen Fragebogen für sich aus – in der Hoffnung, als Almosenbittsteller nicht abgewiesen zu werden. Und versuchen Sie zu guter Letzt, einen Monat lang mit 350 € zu leben. Könnten Sie verreisen? Wohl kaum. Könnten Sie überhaupt Ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten? Wie oft könnten Sie es sich leisten, eine Gaststätte oder eine Kulturveranstaltung zu besuchen? Oder einfach mit den Kindern ins Kino zu gehen? Was tun, wenn die Waschmaschine repariert werden muss oder das Fahrrad? Brauchen Sie gar einen Zahnersatz? Kurz: Wie frei und menschenwürdig lässt sich ein Leben führen, dessen Bedingungen von Hartz IV diktiert werden?
    Die persönliche und existenzielle Erfahrung des Abrutschens in die – unverschuldete! – Armut ist eine ernste Angelegenheit, die sich zu einem kollektiven psychologischen Problem der Deutschen auszuwachsen droht. Psychotherapeutische Lösungsversuche (mit Erklärungen, Tröstungen und Beschwichtigungen) reichen wahrlich nicht aus. Angegangen werden muss zugleich das sich dramatisch zuspitzende Problem bedarfsgerechter Verteilung des in einer Gesellschaft erarbeiteten (oder zugefallenen) Reichtums. Auch sollten wir uns über die Grundfragen unseres Staatsaufbaus und seiner Legitimationsbasis und heutige Aufgaben des Staates in Bezug auf Wirtschaft und Soziales verständigen. Auf welchem Weg ist unser Sozialstaat, wenn schon heute Arbeitslosen die Bezüge immer weiter gekürzt, Langzeitarbeitslosen ja sogar sämtliche Leistungen – inklusive Wohngeld |29| – gestrichen werden können? Schlimm ist, dass in unserer Gesellschaft offenbar die Meinung vorherrscht, solche Maßnahmen seien Akte sozialer Gerechtigkeit. Es stehe ja sogar in der Bibel: »Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen«. Natürlich, aber dieser Satz galt in einer Klassengesellschaft, in der die einen sich von der Arbeit der anderen nährten und die Arbeitenden gleichzeitig darbten. Die Forderung »Jeder soll an der Beschaffung der äußeren Lebensmittel mitwirken« müsste heute heißen: »Jeder soll an der Beschaffung der äußeren

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