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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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wieder an Gerechtigkeit zu binden.
    Die Parteien und Regierenden täten gut daran, die zunehmende Unfähigkeit des Staates, auf ökonomische Prozesse Einfluss zu nehmen, nicht zu verschleiern. Man muss darauf hinweisen, welche Folgen die ungesteuerte Globalisierung und die Entfesselung der Märkte hat – nämlich höhere Produktivität, weniger Bedarf an lebendiger Arbeit und Raubbau an der Natur. Nur aus der Offenlegung und Kenntnis der »schwierigen Wahrheit« kann ein breites politisches Bewusstsein dafür erwachen, welche Politik man im nationalen und internationalen Rahmen anzustreben gedenkt. Denn Hartz IV war sicherlich nicht das Ende, wahrscheinlich eher der Anfang sozialer Einschnitte.
    Wiewohl gewiss keine Experten, werden wir uns fernerhin um »sozialverträgliche« Rahmenbedingungen kümmern und mit Konzepten, die auf wirtschaftliche Effizienz setzen, beschäftigen müssen. Wir dürfen »die da oben«, wo immer »oben« sei, nicht allein agieren lassen. Uns zuliebe. Ein erster Schritt wäre, angesichts der sogenannten Reformen nicht zu resignieren. Akzeptieren wir also nicht leise maulend, was sie uns abverlangen, sondern artikulieren wir
unsere
Vorstellungen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ausdauernd und laut!
    |32| Nicht resignieren – protestieren !
    Am 4. September 1989 waren 1200 Menschen nach einem der traditionellen Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche auf die Straße gegangen und hatten für Reise-, Presse- und Versammlungsfreiheit demonstriert. Immer mehr taten es ihnen dann Woche für Woche nach, bis schließlich Hunderttausende in vielen ostdeutschen Städten mit dem Ruf »Wir sind das Volk« gegen die politischen Verhältnisse protestierten. Die Montagsdemonstrationen waren Anstoß des einzigartigen Prozesses der friedlichen Revolution und zeugen von der Veränderung, die möglich ist, wenn viele ihren Stimmen öffentlich Gehör verschaffen.
    2004 gingen wieder viele Menschen auf die Straße. Die Demonstranten belebten die Parole »Wir sind das Volk« neu und stellten sich mit ihren Protesten gegen Hartz IV in die Tradition der Montagsdemonstrationen. 15 Jahre zuvor hatten die Menschen die Systemfrage in einer Diktatur aufgeworfen – nun ging es bei den Montagsdemonstrationen um Systemfragen in einer Demokratie, in der das Gleichgewicht von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit verlorengegangen ist.
    Hatte man 1989
für
nötige Reformen demonstriert und »denen da oben« keine Reglungskompetenz und keinen Regelungswillen unterstellt – so richteten sich die Proteste jetzt
gegen
Reformen, die das Gemeinwesen in eine gefährliche Schieflage zu bringen drohen. Länger aufgestaute Enttäuschung fand in Hartz IV nun ein Ventil. Im Westen lösten die Proteste wiederum länger aufgestaute Wut über die »versickerten Hilfen« für den Osten aus: Die Ostdeutschen seien nicht nur undankbar, sondern stellten nun auch noch das demokratische System durch erneute Montagsdemonstrationen infrage.
    Angesichts des bürgerlichen Aufbegehrens fragte der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in der
Leipziger Volkszeitung
vom 6. August 2004 erzürnt: »Wo leben wir eigentlich?« Ziviler Ungehorsam gegen die Arbeitsmarktreform sei völlig fehl am Platze. Also bitte: Setzen, die Reformen schlucken und dann den Mund halten!
    |33| Den Bezug auf die Proteste der DDR-Bürger 1989 kritisierte er scharf: »Schon der Vergleich ist eine Zumutung, eine Beleidigung der historischen Montagsdemonstrationen und der Zivilcourage, die viele Ostdeutsche damals gezeigt haben.« Das sahen freilich viele der damals Beteiligten ganz anders. Christian Führer z. B., Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche und Begründer der Friedensgebete 1982, erklärte: »Es kann nicht nach dem Motto gehen: ›Wir begrüßen, dass Ihr gegen die Kommunisten auf die Straße gegangen seid, aber jetzt habt Ihr die Klappe zu halten‹. So geht das echt nicht.«
( Süddeutsche Zeitung
, 9. August 2004) Er sagte auch, dass der zweite Teil der friedlichen Revolution von 1989 noch ausstehe. Das war freilich kein Aufruf zum Sturz der demokratischen Regierung, das war vielmehr die eindringliche Erinnerung daran, dass Freiheit und Gerechtigkeit zusammengehören.
    Auch heute müssen wir uns immer wieder vor Augen halten: Ein Land, das nicht sozial und demokratisch ist, wird kein menschliches Land sein können. Soziale und bürgerliche Rechte sind gleichrangig. Gerechtigkeit ohne Freiheit ist so unmenschlich wie eine Freiheit von Starken und

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