Lass los was dich festhaelt
Erfindung des Computers, der genauso stur alles »in sich hinein Gefütterte« speichert und nach seinem System verwaltet, wie die von Rache erfüllte Claire Zachanassian in oben genanntem Bühnenstück, die immerhin eine ganze Kleinstadt dazu bringt, kollektiv nach ihrer Pfeife zu tanzen und an ihrer Stelle zum Mörder zu werden. Es wird deutlich, dass sich jeder, der mit einem matriarchalen System umgehen will, dessen Regeln zu unterwerfen hat, zumindest anfänglich und scheinbar. Denn wer mit der Matrix nicht so umgeht, wie sie es wünscht, wird ihren Unwillen zu spüren bekommen.
Wieder einmal ist es der Volksmund, der es im Klartext ausspricht: »Der Mann ist das Haupt der Familie, und die Frau ist der Hals, der es dahin dreht, wohin sie will.« Ich möchte nicht versäumen anzumerken, dass es der weiblichen Klugheit obliegt, dem sogenannten starken Geschlecht diese Macht nicht allzu offensichtlich zu demonstrieren und auch nicht zu vergessen, dass die Qualität des Beieinanderseins vom Selbst-Verständnis
der Frau abhängt. Wirkliche Gleichberechtigung kommt meiner Beobachtung nach automatisch dann zustande, wenn die gegenseitige Würde gewahrt bleibt. Dann kann Achtung entstehen, die, wenn sie vorhanden ist, das Zusammenspiel der Geschlechter wesentlich vereinfacht. Das Bewahren der gegenseitigen Achtung verlangt sehr oft ein klares Nein zur rechten Zeit, um die Grenzen deutlich abzustecken. Wenn uns die »große Freiheit« überrollt, sind diese Grenzen nämlich oft nicht mehr erkennbar, was zu Übergriffen verleitet, die Leid und Enttäuschungen nach sich ziehen.
Ich machte meine Ausbildung zur Sozialpädagogin genau in der Zeit, als die »Segnungen« der antiautoritären Erziehung über uns hereinbrachen. Um es kurz zu sagen: Es war das reinste Chaos. Dabei war die Grundidee, die eigentlich nur veraltete unterdrückerische Erziehungsformen aushebeln wollte, gut und intelligent. Doch leider verstanden viele Eltern und Erzieher dies als grundsätzliche »Befreiung«, und so entwickelte sich das berühmte Laissez faire, das die Kinder einfach »machen lassen« wollte, weil sie schon instinktiv wüssten, wo es »langgeht«, um so »unverbildet« zu ihrer wahren Persönlichkeit zu kommen. Meine damalige Professorin brachte es mit einem einzigen Satz auf den Punkt: »Wenn wir es den Kindern überlassen, ob sie sich die Zähne putzen wollen oder nicht, werden wir Erzieher nachher die Kosten für die Zahnarztrechnungen zu tragen haben!« Kinder brauchen einen Anführer, eine Orientierung und, neben aller Liebe und Fürsorge, auch Menschen, die klare Ansagen machen und die Rituale von Anfang an klarstellen. Und zwar immer die gleichen, nicht heute hü und morgen hott.
Die Begriffe Treue, Würde, Glauben und Anstand haben in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer Aussagekraft verloren, was wir auf allen Gebieten des Gemeinschaftslebens zu spüren
bekommen und was das Zusammenleben nicht gerade erleichtert. Unsere unstillbare Sehnsucht nach dem Grenzenlosen kann in der Materie nie und nimmer erfüllt werden, denn Materie stellt per se eine Grenze dar. Jede bestehende Form zeigt uns ihre Grenze. Wir sind durch unsere Haut abgegrenzt vom Rest der Welt. Und wer jetzt meint, über die Grenzenlosigkeit unseres Geistes philosophieren zu müssen, der tut nur kund, dass er anscheinend nicht weiß, dass er nichts weiß. Allwissend - unfehlbar - unantastbar? Lächerlich! Solange die Erde sich dreht, wird unser Wissen scheinbar sein, denn Materie ist scheinbar. Und wir sind mitten in ihr, also voller Fehler, Unwissen und Hochmut, der uns immer wieder dank Ego verleitet, die Unfehlbarkeit und Allwissenheit erproben zu wollen.
Und die Menschheit weiß doch , wie unvollständig und fehlbar sie ist. Denn kaum taucht jemand auf, der vielleicht wirklich ein Übermensch göttlichen Ursprungs ist, schon wird er umgebracht - aber nicht, ohne vorher hochgejubelt zu werden! Zwar können wir in der Spirale der Entwicklung weit nach oben kommen, aber letztlich bleiben wir doch immer von Zweifel erfüllte Wesen, die sich, betört vom Zauber der Allmächtigkeit und Unendlichkeit, nicht einmal über die einfachsten Dinge des menschlichen Seins im Klaren sind und sich vor dem Tod, dem großen und letzten Loslassen, fürchten. Diese Angst wird lieber immer weiter gehütet und genährt, als dass endlich akzeptiert wird, dass der Tod kein Ende ist, sondern nichts als die wesentlichste aller materiellen Erlebnissensationen des Menschen und,
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