Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lass los was dich festhaelt

Lass los was dich festhaelt

Titel: Lass los was dich festhaelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny McLean
Vom Netzwerk:
Schönheitscremes, Spielkarten, Luxusmöbel und Musikinstrumente. (Heute wäre es der ganze MTV-Sender & Co., nehme ich an.) Alle diese schönen Dinge wurden in Florenz mitten auf der Piazza della Signoria zu einem riesigen Scheiterhaufen aufgeschichtet und verbrannt. Und zwar exakt im Karneval des Jahres 1497! Zumindest brachte Savonorola, der ein fanatischer und brillanter Redner war, die Florentiner kurzfristig dazu, sich bußwillig zu zeigen, was aber, wie alles Erzwungene, nicht lange anhielt. Wenig später griffen sie sich ihren dogmatischen Bekehrer und erhängten ihn auf eben dem Platz, auf dem die Zeugnisse ihrer Laster zuvor in Flammen aufgegangen waren, was sie seinem Leichnam zur Vorsicht dann auch noch angedeihen ließen. Fast tut einem der Eiferer Gottes leid, denn (abermals sträubt sich die Feder fast, es niederzuschreiben!) der Mann hatte recht!
    Übertrügen wir die seiner Zeit angeprangerten Objekte der Begierde auf heutige Verhältnisse, dann kämen noch ein paar (etwa 370) Zeitschriften mit anstößigem Inhalt dazu, schätzungsweise sämtliche Laptops, Handys und iPods, und ganz oben auf dem Flammenberg säßen die Schönheitschirurgen, Drogenhändler und Kinderschänder - ginge es nach Savonarola. Und wir könnten wetten, dass wenig später derjenige, der Savonarolas Rolle übernommen hätte, genauso vom Volkszorn ereilt würde wie sein inzwischen mit Denkmälern geehrtes Vorbild. Das große Loslassen kann genauso wenig erzwungen werden wie die große Liebe. Deswegen lieber kein Savonarola. Obwohl seine flammenden Reden gegen den Sittenverfall der Kirche heute vielleicht gar nicht so schlecht ankämen.
    Mit den Stufen der Erkenntnis oder, besser gesagt, mit der Erleuchtung, ist es leider fast so wie mit Zahnschmerzen: Sie
tauchen immer dann auf, wenn man sie am wenigsten erwartet. Auch weiß man vorher nie, wodurch sie ausgelöst werden, und wenn man sie hat, kann man sie nicht aus dem Bewusstsein drängen. Und - sie tauchen immer individuell, doch nie epidemisch auf.
    Das heißt: Wer von der höheren Erkenntnis ereilt wird, steht zuerst einmal ziemlich allein da mit seiner neuen Wirklichkeit. Und ziemlich fassungslos, denn er sieht mit einem Mal sämtliche menschlichen Fehlleistungen mit beinahe erdrückender Klarheit - und in all ihrer Lächerlichkeit.
    Ab diesem Moment des Erkennens wird das Leben schwierig, denn es kann damit gerechnet werden, dass fast kein Mensch, und schon gar nicht die Allgemeinheit, auch nur im Geringsten nachvollziehen kann, warum der Betreffende plötzlich Dinge ablehnt und verurteilt, die er noch kurz zuvor als gut und richtig befunden hat oder kommentarlos akzeptiert hat. Bedingt durch den Erkenntnisschub, der durch den Akt der abgeklärten Lossagung eintritt, eröffnet sich dem Betrachter meist ziemlich übergangslos die hundertprozentige Gesamtheit einer Realität, die zuvor entsprechend der bipolaren, also nur fünfzigprozentigen Wesenhaftigkeit sowohl der irdischen Gegebenheiten als auch der Wahrnehmungsfähigkeit der Sinne nur teilweise begriffen werden konnte. Es gehört zu den Eigenarten der Seele, dass sie beim Anblick von Dingen, die ihr zum ersten Mal gegenübertreten, nur so viel von ihnen aufnimmt, wie sie ihrem Vermögen nach fassen kann.
    Das heißt, dass der allererste Eindruck immer auch ein teilweises Auslöschen der Wirklichkeit mit sich bringt. Aus diesem Grund erscheinen alle Dinge dieser Welt für jeden Menschen so, wie seine Seele sie für ihn Gestalt annehmen lässt.
    Stellen Sie sich vor, Sie sehen zum ersten Mal in Ihrem Leben eine Orchidee. Sie betrachten sie, bewundern ihre Farbe,
berühren sie mit den Händen - und gehen weiter. Den Rest erledigt Ihr Innenleben, also Ihre Seele. Sie macht aus der Orchidee das, was Sie aus der Erinnerung und dem Begreifen der Blume im Laufe der Zeit gestalten. Manche Zuhörer meiner Vorträge haben das Beispiel besser verstanden, als ich ihnen eine Geschichte erzählte und sie diese dann getrennt nacherzählen ließ. Es war unglaublich! Zum Teil war eine völlig neue Erzählung entstanden. Noch wilder wurde das Experiment, wenn ich einen Zuhörer nach vorn kommen ließ und ihn bat, hinauszugehen und nicht wieder zu kommen, bevor er/sie dazu aufgefordert würde. Ob Sie es glauben oder nicht: In manchen Sälen war man sich nicht einmal einig, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war, mit der ich gesprochen hatte.
    Wir glauben, immer alles gesehen und begriffen zu haben, wenn es vor unseren Augen erscheint.

Weitere Kostenlose Bücher