Lass mich in Dein Herz
sonst nicht mochte, in diesem Punkt war sie absolut einer Meinung mit ihr. Doch sie unterdrückte wohlweislich die spontane Zustimmung, die ihr auf der Zunge lag. »Und was hast du beschlossen?« fragte sie nur.
»Mich zu betrinken«, sagte Gina und goss sich ein weiteres Glas von dem Kognak ein.
»Und danach?«
Gina seufzte. »Ich weiß es nicht.«
~*~*~*~
D ass nach einer halben Flasche Kognak ein ausgewachsener Kater folgt, das wusste Gina spätestens am nächsten Morgen, als sie aufwachte. In ihrem Kopf hämmerte ein kleines, munteres Männchen unaufhörlich gegen die Schädeldecke. Das Heben des Kopfes verursachte ein so starkes Schwindelgefühl, dass sie sich sofort wieder zurück aufs Kissen fallenließ. Sie stöhnte.
Es klopfte an der Zimmertür. Judith kam herein. Sie hielt ein Glas Wasser in der Hand, in dem zwei Aspirintabletten aufgelöst waren.
»Na? Schon wach?« Judith reichte Gina lächelnd das Glas. »Trink das. Dann geht es dir gleich etwas besser.«
Gina stützte sich auf den Ellenbogen und nahm das Glas dankbar an. Sie trank gierig, denn es quälte sie außerdem ein brennender Durst.
»Danke.« Sie reichte Judith das leere Glas. »Ich hatte schon ewig nicht mehr solche Kopfschmerzen«, stöhnte sie.
»Du hast ja gestern auch alles dafür getan«, grinste Judith.
»Ich war nun mal in Weltuntergangsstimmung«, sagte Gina trotzig. Ihre beste Freundin sollte das wohl wenigstens verstehen!
»Und jetzt? Ist es jetzt besser?« Judith hob die Augenbrauen.
»Nein. Das Leben ist trostlos.« Gina stöhnte erneut.
Judith legte eine Hand auf ihren Arm. »Das scheint dir nur im Moment so.«
Gina schniefte frustriert. »Aus verständlichen Gründen.«
»Ja.« Judith strich Gina tröstend übers Haar.
»Ich versuche erst mal aufzustehen.« Gina richtete sich langsam auf und stöhnte gleich wieder. Die Aspirin wirkten noch nicht.
»Möchtest du Kaffee oder Tee zum Frühstück?« fragte Judith.
»Frühstück?« Gina wurde sofort schlecht. »Mein Magen dreht sich schon beim Gedanken daran um!«
»Dusch erst mal und dann komm in die Küche. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen.«
»Wenn du noch einmal das Wort Essen erwähnst, bringe ich dich um!« Gina fluchte.
Judith lachte und ging.
Das Duschen dauerte länger als üblich, denn Gina musste sich bei jeder Bewegung an der Wand festhalten. Der Boden schien unter ihr zu schwanken.
Langsam jedoch wirkten die Tabletten, und eine knappe halbe Stunde später saß sie mit Judith beim Frühstück. Das heißt, Judith frühstückte, und Gina sah ihr mit angewidertem Blick dabei zu.
»Ich kann das nicht länger mit ansehen«, stöhnte Judith. »Warum machst du nicht einfach ein paar Tage Urlaub? Wechsle die Umgebung. Dann kommst du auf andere Gedanken. Spanien, Griechenland. Eine Finca, weit weg von allem«, schlug sie vor.
»In der Einsamkeit zergrübele ich mir erst recht den Kopf«, hielt Gina entgegen.
»Dann eben Aktivurlaub. Tauchen auf Teneriffa. Was weiß ich. Du lernst neue Leute kennen.«
Gina seufzte. Ihr war weder nach Urlaub noch danach, neue Leute kennenzulernen. Ihr war nach gar nichts. Aber sie fühlte sich zu schwach, um ernsthaft Widerstand zu leisten. Außerdem, die Idee hatte auch etwas Gutes. Auf die Art kam sie ein paar Tage raus aus der Stadt, weg von dem, was sie belastete. So konnte sie vielleicht etwas Abstand gewinnen, sich wieder auf sich selbst besinnen. Schließlich gab es ein Leben vor Andrea. Warum sollte es keines nach ihr geben? Du hast ja wohl genug Zurückweisungen eingesteckt!
Gina holte tief Luft. »Du hast vollkommen recht. Ich werde es tun.«
»Ehrlich?« Judith war überrascht, dass Gina ihren Vorschlag so schnell annahm. Sie hatte sich auf eine längere Diskussion eingestellt.
»Ja. Ich will endlich wieder ein Leben haben, in dem auch ich eine Rolle spiele, nicht nur andere.«
»Gut gebrüllt, Löwin!« Judith lachte.
16.
S eit ihrem Gespräch im Restaurant hatte Andrea nichts mehr von Gina gehört. Das war jetzt eine Woche her.
Eine Woche, sieben Tage oder einhundertachtundsechzig Stunden.
Zeit genug, um ihr Leben, wenigstens, was ihre Gefühle für Gina betraf, wieder in den Griff zu bekommen. Reichlich Zeit, sich zu sammeln. Zumal sie suspendiert war.
Daran konnte es also nicht liegen, dass sie sich immer noch genauso schlecht fühlte wie an jenem Abend im Restaurant. Denn es hatte sich nichts geändert. Andrea hoffte jeden Tag, dass sich endlich die erhoffte Erleichterung einstellen würde.
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