Lass mich in Dein Herz
Andrea mit prüfendem Blick.
Andrea blinzelte irritiert. Dann erwiderte sie ruhig: »Das ist nicht die Frage.«
»Sondern?«
»Sind Sie der Meinung, man darf ein neues Versprechen geben, wenn man damit ein bereits gegebenes bricht?« fragte Andrea.
Judith schaute Andrea verständnislos an.
»Ich denke, es macht beide Versprechen wertlos«, fuhr Andrea leise fort. »Und ich habe Maren versprochen, dass ich sie immer lieben würde. Ich habe es versprochen, weil ich es fühlte. Ich fühle es immer noch.« Andrea zögerte. »Ja. Ich fühle auch etwas für Gina«, gab sie zu. »Zum ersten Mal seit Marens Tod empfinde ich wieder Zuneigung für eine Frau. Aber es gelingt mir nicht, dieses neue Gefühl mit dem alten in Einklang zu bringen.«
Judith war für einen Moment sprachlos. Aber so etwas dauerte bei ihr nie lange an. Sie stand auf und kam auf Andrea zu. »Vielleicht sollten Sie sich eines klarmachen«, sagte sie und sah ihr dabei in die Augen. »Das Versprechen, das Sie Ihrer Freundin gegeben haben, war ein Versprechen an eine Lebende, nicht an eine Tote.« Sie musterte erneut Andreas verschlossenes Gesicht. »Bestimmt hätte Maren sich dagegen gewehrt, wenn sie gewusst hätte, dass Sie sich dadurch nach ihrem Tod selbst im Weg stehen. In der Konsequenz werden Sie, wenn Sie damit nicht aufhören, immer allein bleiben. Und eines Tages sehr einsam sein.«
Andrea sah Judith erstaunt an. Soviel Einfühlungsvermögen hatte sie ihr nicht zugetraut.
»Schön, dass Gina Sie zur Freundin hat«, sagte Andrea aus einem Impuls heraus.
»Ich werde Gina Bescheid geben«, sagte Judith, und diesmal klang ihre Stimme weit wärmer als am Anfang. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
Andrea seufzte. Die machte sie sich, das konnte sie gar nicht verhindern. Schließlich wusste sie, wozu Valentin fähig war. Und die Vorstellung, dass Gina ihm in die Hände fallen könnte . . . Sie schüttelte den Gedanken schnell ab. Bloß nicht daran denken.
»Danke«, sagte sie zu Judith. »Bitte machen Sie ihr klar, dass sie auf keinen Fall herkommen darf. Auf keinen Fall!«
Judith nickte. »Ich werde mir Mühe geben«, sagte sie.
17.
I n der vergangenen Woche hatte Gina versucht, weitestgehend alle Gedanken an zu Hause und an Andrea zu verdrängen. Die Gemütlichkeit der kleinen Bergpension, die Herzlichkeit der Wirtin und die ausführlichen Klettertouren, die sie unternahm, boten genau die Ablenkung, die sie brauchte.
Judiths Anruf riss sie aus ihrer Scheinwelt. Mit einem Schlag war alles wieder gegenwärtig. Besonders ihre Gefühle für Andrea. Und Gina fragte sich: Sollte sie sich wirklich hier verstecken und darauf warten, wie die Sache mit Valentin ausging? Andrea und Judith hielten es offenbar für das Beste.
Eines wunderte Gina. Judith war während des ganzen Telefonates nicht einmal über Andrea hergefallen. Bisher war Andreas Name immer wie ein rotes Tuch für Judith gewesen. Nun ja, sicher war es die Sorge, die sie ihre Abneigung vergessen ließ. Doch die Sorge musste nicht nur ihr, Gina, sondern genauso Andrea und Carmen gelten. Deshalb zweifelte Gina, ob es richtig sein konnte hierzubleiben.
Andreas Worte klangen ihr wieder in den Ohren: Besser wir gehen uns aus dem Weg.. .. Ich möchte mich nicht im Streit von dir trennen.
Das waren deutliche Worte. Deshalb war sie weggefahren. Du kannst sowieso nichts für Andrea und Carmen tun, sagte sie sich zum einen . Was, wenn sie doch deine Hilfe brauchen? zum anderen.
Gina fühlte sich ziemlich unwohl bei dem Gedanken, dass sie hier saß, während Andrea und Carmen Valentins Attacken ausgesetzt waren. Außerdem lastete auf Andrea immer noch dieser unsinnige Mordverdacht. Und du jammerst über dein gebrochenes Herz.
Natürlich konnte sie den beiden helfen. Allein durch ihre Anwesenheit.
Punkt eins: Valentin konnte keine Zeugen für seine Attacken brauchen. Wenn sie und Carmen in Andreas Nähe blieben, hatte er in dem Punkt schon mal sehr schlechte Karten. Das galt natürlich auch im Falle, dass Valentin gegen Carmen oder sie etwas unternehmen wollte.
Das war Punkt zwei: Sie schützten sich gegenseitig. Mit ihrer Anwesenheit konnte sie helfen, Valentins Spielraum noch weiter einzuschränken. Das war viel besser, als hier untätig herumzusitzen. Zumal sie Untätigkeit hasste.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt war der Entschluss schnell gefasst.
In wenigen Minuten hatte sie gepackt.
Es war Mitternacht, als sie losfuhr.
Am nächsten Morgen würde sie in Berlin
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