Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
Vom Netzwerk:
Sie unterstrich die Textpassagen in ihrem Buch mit einem Bleistift, das genügte ihr.
    Sie hatten ihre Ecke in der Bibliothek gefunden und waren übereingekommen: hier sitzen wir, hier gehen wir hin und finden einander. Um sie herum saßen ähnliche Mädels: gut gekleidet und mit entsprechendem Styling. Alle ähnlich chic wie Olivia Palermo. Die Bibliothek der Universität Stockholm war weit davon entfernt, verstaubt zu sein. Natalie tippte, dass das Trendniveau hier Weltklasse war. Die Leute achteten schlicht und einfach auf ihr Aussehen – und an erster Stelle lagen die Jurabräute.
    Heutzutage dominierten Mädels im Jurastudium. Sie dachten am strukturiertesten, waren am engagiertesten und leistungsorientiertesten. Das Jurastudium war ziemlich leseintensiv, meinte Louise. Natalie rechnete damit, in den nächsten Jahren ziemlich oft hier sitzen zu müssen.
    Wenn sie sich nur konzentrieren könnte.
    Ihre Gedanken mahlten in ihrem Kopf wie ein Espressomahlwerk. Die Entdeckungen des Sommers – ihre, Gorans und die Nachforschungen von Thomas. Die Gedanken an ihren Vater.
    Nach dem Mahnschreiben des Rechtsanwalts hatte Natalie einen der Bullen persönlich kontaktiert, anstatt ihm einen Brief oder eine Mail zu schicken – sie hatte einfach angerufen. Ihn erpresst wie ein Profi. Wenn er ihr keinen Zugang zur Voruntersuchung verschaffte, hatte sie vor, ihre Aufnahmen öffentlich zu machen. Daraufhin würde eine Anzeige beim Justizombudsmann erfolgen. Interne Ermittlungen, Involvierung des Zivilausschusses im Reichstag – schweres Dienstvergehen, sexuelle Belästigung. Den Beschluss der Verwaltungsbehörde konnte man sich leicht ausrechnen. In klaren Worten: Entweder rückte der verdammte Bulle die Ermittlungsunterlagen raus, oder seine Polizeikarriere war aus und vorbei.
    Es war Gorans Idee gewesen. Und sie funktionierte – zwei Tage später kam ein Bote mit den Voruntersuchungsunterlagen. Eine neue Situation: Natalie saß mit fünfhundert Seiten an Hinweisen da.
    Vier Tage später rief Stefanovic an. Sie wusste zwar nicht, wie er es erfahren hatte, aber er wusste davon.
    »Du hast Zugang zu sehr wichtigen Unterlagen erhalten. Unterlagen, die du eigentlich nicht haben dürftest. Ich nehme an, dass du das weißt?«
    Natalie hatte keine Lust, sich verarschen zu lassen. »Ich bin schon der Meinung, dass ich das Recht dazu habe. Es geht immerhin um den Mord an meinem Vater, in dem sie ermitteln.«
    »Ja, wir trauern auch alle um ihn. Aber es geht auch noch um etwas anderes. Geschäfte, Geschäftskontakte, aktuelle wertvolle Beziehungen. Es wäre nicht gut, wenn davon etwas herauskäme. Das verstehst du doch, oder?«
    »Natürlich. Wenn ich davon weiß, wird auch nichts herauskommen.«
    »Dein Vater war ein erfolgreicher Mann. Er hat in dieser Stadt einiges aufgebaut. Und das will ihm der Staat wegnehmen. Die wühlen da in Angelegenheiten, zu denen sie eigentlich gar keinen Zugang haben dürften. Sie graben Geschichten aus, die längst begraben sein müssten. Wie du bestimmt gesehen hast, habe ich während meiner Vernehmung getan, was ich konnte, um den Bullen keine unnötigen Informationen zu geben. Ich hoffe, dass alle dementsprechend agieren. Es ist bestimmt nicht leicht für dich zu erkennen, welche der Informationen wichtig sind und welche diesen Schweinen nur dazu dienen, die Unternehmen deines Vaters zu ruinieren. Oder?«
    Natalie antwortete nicht.
    Stefanovic senkte die Stimme.
    »Ich möchte, dass du die Unterlagen von der Voruntersuchung an mich weiterleitest und nicht versuchst, selbst herumzutricksen. Ich will, dass du deine Finger von dieser Voruntersuchung lässt. Du lässt die Polizei ihren und mich meinen Job machen. Verstanden? Ich möchte, dass du deine eigenen bescheidenen Versuche aufgibst, darin herumzuwühlen, was
Kum
passiert ist.«
    Natalie weigerte sich, das auf sich sitzen zu lassen. Sie entgegnete, dass sie jetzt nicht länger reden könne – und beendete das Gespräch.
    Sie rief unmittelbar darauf Goran an.
    »Stefanovic ist völlig krank im Kopf.«
    »Er ist nicht gerade dein Freund.«
    »Nein, das wusste ich ja bereits. Aber jetzt ruft er an und zwingt mich ganz unverblümt, ihm die Voruntersuchungsunterlagen herauszugeben. Ausgerechnet er, der den Bullen gegenüber selbst keinen Deut gesagt hat, um mitzuhelfen. Was soll ich nur tun?«
    Goran brummte, er klang wie einer der Wagen von Viktor. »Natalie, du musst selbst entscheiden, welchen Weg du gehst.«
    Natalie dachte: Er hatte recht.

Weitere Kostenlose Bücher