Lass sie bluten
innersten Kreisen der Polizei zugesteckt bekommen hatte. Bullen ließen oftmals ’ne ganze Menge durchsickern – was wiederum bewies: Sie waren allesamt Heuchler.
Aina hatte den absoluten Durchblick. Die Fokusperson war er. Zuerst eine Seite mit verschiedenen Fotos von ihm. Unterschiedliche Alias: J-Boy, Jorge Bernadotte, der Ausreißer. Personalien, Adressen von diversen Wohnungen, in denen er gewohnt hatte, welche Autos er besessen hatte, wann man zuletzt Fingerabdrücke von ihm genommen hatte. Und: Verdachtsmomente. Jorge Salinas Barrio: eine der zentralen Figuren aus dem Süden Stockholms für Kokainschmuggel und Dealergeschäfte. Auszüge aus dem Allgemeinen Fahndungsregister, den Unterlagen der Kripo beim Zoll, dem Strafregister. »Jorge Salinas Barrio hält sich nach Informationen des Referats für Internationale Angelegenheiten und von Interpol zum aktuellen Zeitpunkt höchstwahrscheinlich in Thailand auf. Weitere Informationen fehlen.«
Dann kamen die unangenehmeren Dinge. Sie listeten sein Kontaktnetz auf, seine Bekannten, Kumpel. Alles alte Kamellen: Leute, mit denen er gedealt hatte, Leute, von denen er gekauft hatte, Typen, mit denen er gemeinsam eingesessen hatte, Jungs, denen er gedroht hatte, weil sie versuchten, ihm sein Revier abspenstig zu machen. Sie listeten alle auf, die ihn in Österåker besucht hatten, Bräute, die er gefickt hatte,
hermanos
, bei denen er gewohnt hatte.
Dann kam ein Spezialabschnitt: der Verdacht im Hinblick auf den Tomteboda-Coup. Man brachte ihn in Verbindung mit Babak, der wiederum in Verbindung mit dem Range Rover gebracht wurde. Aber ansonsten hatten sie nicht viel. Jorge wusste: Es existierte allenfalls eine Voruntersuchung mit weiteren Details – aber das Heftigste dürfte aus dieser Zusammenstellung hervorgehen.
Er atmete aus.
Dennoch: Ihm wurde fast schwindelig – die Bullen saßen auf so vielen Informationen. Sie wussten fast mehr über ihn als er selbst. Er atmete erneut aus: gut, dass er in Thailand war.
Schließlich kam das Schlimmste von allem: Sie listeten seine Familie auf. Die Personalien seiner Mutter, die von Paola und seinem Cousin Sergio, ihre Arbeitsplätze, Einkommensverhältnisse, in welcher Beziehung Jorge zu ihnen stand. Positiv, neutral, negativ. Sie listeten verdammt nochmal sogar das Kindergartenpersonal von Little-Jorge auf. Vier Jahre alt – was zum Teufel hatte er mit der Sache zu tun?
Widerlich. Er hasste die Bullen. Hasste Schweden. Hasste eine Gesellschaft, die ein unschuldiges Kind in die Sache hineinzog.
Hägerström erklärte ihm die Verhandlungstaktik. In Asien: immer höflich sein, den Kapun-Khap-Race mitmachen, keinem in die Augen schauen. Sich niemals aufregen. Nicht Nein, Nein, Nein sagen und einen auf knallhart spielen. Stattdessen Ja, Ja, Ja sagen, es sich dann aber anders überlegen. Lächeln und so tun, als stimmte man bereits miteinander überein, obwohl man meilenweit auseinanderlag.
Der Exbulle sagte: »Es spielt keine Rolle, ob du recht hast. Oder ob sie versucht haben, dir allen möglichen Scheiß zu entlocken. Denn wenn du dich aufregst, zeigst du, dass du die Kontrolle verloren und abgelost hast. Von da an erfährst du keinerlei Respekt mehr von den Thais. Man muss immer die Ruhe bewahren.«
Jorge hörte zu, versuchte sich die Tipps des Hägerströmtypen einzuprägen. Er hatte lediglich vor, ein Café zu kaufen, dann konnte der Typ wieder abziehen.
Hägerström sagte: »Sie werden dir niemals schriftlich vorweisen können, wie viel sie umsetzen. Also musst du oder ich das Recht bekommen, das Lokal einige Tage lang aus der Nähe zu beobachten. Um zu sehen, wie viele Leute kommen, den Bierabsatz zu berechnen, festzustellen, ob sie Schutzgeld an irgendeine Seedangfamilie bezahlen, die Tageskasse einzusehen.«
Jorge lachte. »Was glaubst du eigentlich, wer ich bin? Genauso ist es doch zu Hause auch. Alle bescheißen sich gegenseitig. Es geht letztlich nur darum, die Knete im Auge zu behalten.«
Dennoch: Ihm gefielen die Gedanken des Hägerströmschweden. Es war gut, ihn dabeizuhaben.
Am nächsten Tag verhandelten sie mit dem Thaimann. Sie trafen sich in der Sportbar. Auf der einen Seite des Tisches saßen Jorge und Hägerström. Auf der anderen saß der Alte mit seinen beiden Söhnen.
Alles Gerede auf Thai. Hägerström quatschte drauflos. Jorge folgte seinen Instruktionen: verbeugte und verneigte sich wie ein Zwölfjähriger, der den König besuchen darf. Sobald der Thaimann aufschaute, setzte
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