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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Tür. Da drinnen saß Stefanovic und unterhielt sich mit einem Mann, den sie schon einmal gesehen hatte. Er war großgewachsen, hatte aschblondes Haar und sah schwedisch aus. Nach Papas Aussage war er ein ehemaliger Polizist. Er stand auf und streckte seine Hand aus.
    »Guten Morgen, Natalie. Kennst du mich noch? Thomas Andrén. Tut mir leid, aber wir waren gezwungen, deinen Freund nach Hause zu fahren.«
    Sein Händedruck war fest – aber nicht so übertrieben fest wie der von vielen anderen Angestellten ihres Vaters.
    Sie fragte: »Was geht denn hier eigentlich vor? Ich glaube wirklich, dass wir langsam genug Leute hier im Haus gehabt haben.«
    Die Frage war an Stefanovic gerichtet.
    Thomas Andrén lächelte.
    Er antwortete: »Dein Vater wird in einer Stunde nach Hause kommen.«
    ***
    Die Erfolgreichsten auf meinem Gebiet sind diejenigen, denen es am schnellsten gelingt, Muster zu erkennen. Ich hatte geglaubt, einer von ihnen zu sein.
    Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ein Geschöpf, das gewisse Strukturen benötigt, um zu funktionieren. Die Art und Weise eines jeden Menschen, sich zu bewegen und sein Leben zu leben, wird zu einem Muster, einer Struktur, die seziert und analysiert werden muss.
    Es war ein Misserfolg. Ich habe mich wie ein Amateur benommen, ein Anfänger, ein B-Promi, der versucht, ein Attentat auszuführen, ohne den richtigen Einblick zu haben. Ich habe noch nicht einmal Kontakt zum Auftraggeber aufgenommen. Ich habe mich geschämt wie ein Kind.
    In den Tagen danach habe ich versucht, das Ganze zu rekonstruieren. Aus welchem Grund war es schiefgelaufen? Ich ging meine Aufzeichnungen durch. Schaute mir meine Zielfotos an, reinigte und kontrollierte meine Waffen. Kam wieder und wieder zu demselben Schluss. Erstens: Ich wusste, dass er nahezu immer eine schusssichere Weste trug. Dennoch wählte ich eine Entfernung, bei der die Schüsse auch seinen Körper treffen konnten. Zweitens: Ich wusste, dass er immer von Leibwächtern umgeben war. Dennoch wählte ich einen Ort, an dem es ein Leichtes gewesen war, ihn zu schützen.
    Außerdem war Radovan, nachdem er aus dem Aufzug kam und kurz davor war, sich geradewegs in die Schusslinie zu begeben, nach rechts anstatt nach links abgebogen, wo sein Wagen stand. Er war in einem Wagen gekommen, hatte sich jedoch entschieden, in einem anderen wegzufahren. Bereits da hätte ich den Versuch abbrechen sollen.
    Ich musste an das Attentat denken, das ich 2004 in dieser Disco in Sankt Petersburg gegen Puljew verübt hatte. Ich drängte mich an vier Leibwächtern vorbei und erschoss ihn aus einem Abstand von fünf Metern. Ich wusste, dass er eine schusssichere Weste trug. Ein Schuss in die Stirn reichte aus, und das gelang mir aus dieser Entfernung.
    Aber Radovan war nicht dumm.
    Ich musste vor mir selber zugeben, dass ich ihn unterschätzt hatte. Nur weil dieser kleine Serbe eine Art King im friedlichen Schweden war, dachte ich, dass er naiver und unvorsichtiger war als seinesgleichen draußen in Europa. Aber ich war derjenige, der naiv war. Ich war unvorsichtig.
     
    Mein Auftraggeber wusste natürlich, dass ich gepatzt hatte. Die schwedischen Zeitungen weideten sich geradezu darin, Radovan Kranjic zu hassen. Ich betrachtete Fotos auf Titelseiten, verstand Fragmente von Überschriften, blätterte die Doppelseiten durch.
    Aber ich wusste, dass sich irgendwo eine weitere Möglichkeit ergeben würde.
    Ich musste nur warten. Am Ende würde mein Auftraggeber schon bekommen, was er wollte.

10
    Jorge saß an einem der Computer bei 7-Eleven.
    7-Eleven hatte bunte Schilder mit Sonderangeboten aushängen. Kaffee und Brötchen für nur fünfzehn Kronen – solche Läden waren Gift für richtige Cafébesitzer. J-Boy trank lieber Red Bull.
    Neben seinen Füßen lag seine Tasche. In der Tasche: eine Gun. Walther PPK . Die ehemaligen Waffen der Polizei. Plus vier volle Magazine. Es brannte regelrecht in seinem Kopf: Wenn nun etwas passieren würde. Zugleich: Es konnte nichts passieren. Er saß schließlich nur da und surfte im Internet – soft wie nur was. Hör jetzt auf, so paranoid zu sein, J-Boy.
    Er musste sich konzentrieren. Wiederholte im Stillen eine der Regeln des Finnen: kein Surfen vom eigenen PC aus. So etwas hinterließ immer Spuren. IP -Adressen, Beweise auf der Festplatte des Computers. Jorge war nicht gerade ein Hacker, aber so viel kapierte er immerhin: Die Bullen schafften es immer, irgendwelche Scheiße auszugraben, auch wenn man alles löschte. Seven war

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