Lass sie bluten
klein er war, als seine Mutter ihn zum ersten Mal darauf hingewiesen hatte: »Das Besteck hält man am oberen Ende. Damit die Leute nicht glauben, dass du die Finger im Essen hast.«
Mit anderen Worten: nicht wie JW seines hielt.
JW öffnete den Mund. »Wie lange sind Sie jetzt schon hier, Martin?«
Ein Gesprächsangebot. Er antwortete: »Jedenfalls noch nicht lange genug, um mich in allen Korridoren zurechtzufinden.«
JW lachte höflich.
Hägerström fügte hinzu: »Aber mir gefällt es von Tag zu Tag besser.«
Das Rohr murmelte etwas vor sich hin. »Sie haben leicht reden, denn Sie müssen hier ja keine drei Jahre mehr absitzen, bevor Sie heimgehen können.«
»Ich weiß, es mag ziemlich merkwürdig klingen, wenn ich sage, dass es mir gefällt. Aber die Stimmung in dieser Abteilung ist gut.«
JW sagte: »Sie haben recht. Ich hab schon weitaus Schlimmeres gesehen. Hier ist es wirklich soft. Das Einzige, was ich vermisse, sind bessere Trainingsräume.«
Narren-Tim grinste. »Aber man bleibt irgendwie trotzdem fit, wenn man einsitzt. Kein Saufen und so. Also fit in der Birne, meine ich. Aber man wird auch verdammt fett. Zu wenig Training und zu wenige Ficks.«
Alle um den Tisch herum feixten. Hägerström lachte mit. Narren-Tim war ein Stimmungsmacher par excellence. Und der Sexwitz erinnerte ihn an den jungenhaften Jargon von einigen seiner Polizeikollegen.
Zugleich suchte er in seinem Kopf nach einem geistreichen Konter, aber sein Hirn machte offensichtlich gerade Pause. Ihm fiel nichts ein. Er kam sich blöd vor.
Das Rohr, Narren-Tim und JW unterhielten sich weiter. Sie schienen sich durch Hägerström nicht stören zu lassen. Ein Fortschritt. Aber er führte ihn nicht näher an JW heran.
Er wusste, dass es dauern konnte.
Nach zehn Minuten verließen sie den Tisch. JW stand zuerst auf. Die anderen liefen hinter ihm her wie die Küken hinter ihrer Glucke. Hägerström blieb sitzen. Er wog den nächsten Schritt ab. Viel zu viele Gespräche mit JW waren bereits in diesem Stil abgelaufen – freundlich, voller Akzeptanz und unkompliziert. Aber ohne Nähe. Ohne jeglichen Ansatzpunkt.
Bald würde er sich Zutritt zum JW -Land verschaffen müssen.
Er hatte bereits unterschiedliche Vorgehensweisen mit Torsfjäll diskutiert.
Bald würde Hägerström seine Operation ernsthaft starten.
Denn er hatte einen Plan.
12
Louise war der Meinung, dass es zweifellos das Fest der Feste sei – die kostspieligste, prestigeträchtigste Privatparty. Natalie reagierte etwas zurückhaltender. Sie hatte Lust hinzugehen. Sie kam in jede Kneipe in der Gegend um Stureplan hinein – hatte man einmal in der Kneipenszene gearbeitet, sah gut aus, hatte ihre Beine und vor allem ihren Vater, war alles kein Problem. Und dennoch: dass sie gemeinsam mit zweihundert anderen erlesenen Gästen zu Jetset-Carls Wiedereinzugsfest eingeladen wurden – das war wirklich absolut VIP .
Zugleich: Ihr war nicht ganz wohl in Bezug auf den bevorstehenden Abend – angesichts dessen, was Papa passierte, war es ihr eher unheimlich.
Carl Malmer – alias Jetset-Carl. Alias Prinz von Stureplan – hatte sein Penthouse in der Skeppargata tipptopp renoviert und gab jetzt ein Fest mit allem Pomp, den man sich denken konnte. Eine Wohnung mit über dreihundert Quadratmetern auf Östermalm: Das hatte Klasse hoch zehn. Jetset-Carl hatte vor einem Jahr die Nachbarwohnung gekauft und die Wände herausreißen lassen; das Ganze in offener Gestaltungsweise konzipiert. Nicht so sehr deswegen, weil er mehr Platz benötigte, sondern weil er keine Nachbarn haben wollte, die sich beschwerten, wenn er feierte. Es klang übertrieben. Aber so hatte Louise es jedenfalls behauptet. Lollo hatte Natalie in den vergangenen Tagen auf dem Laufenden gehalten. Ihre Wall auf Facebook vollgetippt. Die heißesten Typen würden kommen. Kinder aus den besten Familien. Sie steigerte sich mehr und mehr in die Sache hinein. »Du musst auf jeden Fall dein Handy einschalten – denn es werden sich genügend Gelegenheiten bieten, Fotos zu schießen, versprochen.«
Natalie war nicht nur der Meinung, dass Lollo manchmal durchgeknallt war, sie war nahezu eine Gefahr für sich selber. Was glaubte sie denn, würde Jetset-Carl denken, wenn er ihre Mitteilungen zu sehen bekäme?
Die Boulevardpresse erlebte ebenfalls eine Hausse. Es gab Gerüchte, dass Jetset-Carl Romanzen mit Hollywoodstars und europäischen Prinzessinnen unterhielt. Jetset-Carls Unternehmen machten mehr Umsatz als die
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